»Was ist mir wichtig im Leben?«

Gespräch mit dem früheren Freiburger Erzbischof Dr. Robert Zollitsch

Welche Werte und Tugenden vermissen Sie im Berufsalltag?

Zollitsch: Den meisten Arbeitgebern ist sicher am Wohl ihrer Beschäftigten gelegen, denn sie brauchen motivierte Mitarbeiter für den Erfolg ihres Unternehmens. Und die meisten Arbeitnehmer sind sicherlich mit ihren Pflichten vertraut, um ihren Arbeitgeber und das Unternehmen stabil in die Zukunft zu begleiten und somit Arbeitsplätze zu erhalten. Loyalität und Pflichtbewusstsein gibt es im Berufsalltag überall. Was aber manchmal fehlt, sind die christlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. Wenn ich mein Leben aus dem Glauben heraus führe, dass mein Leben und meine Arbeit einen Sinn haben, gehe ich motivierter an meine Tätigkeit heran. Mit Hoffnung im Herzen kann ich auch schwierige Situationen meistern.

Die Liebe zu meinen Mitmenschen ist am wichtigsten: Wie gehe ich mit meinen Mitarbeitern und Kollegen um? Ist für sie das Arbeiten mit mir angenehm oder nicht? Welchen Stellenwert hat meine Arbeit? Ist sie wichtiger als meine Familie? Darüber müssen wir uns Gedanken machen, wenn wir nach Tugenden im Berufsalltag fragen.

Warum zahlt sich soziales Denken letztlich für jeden Betrieb wieder aus?

Zollitsch: Der Mensch lebt von Bindungen, von stabilen Verbindungen. Wo die Motivation allein der Verdienst, der Lohn ist, dort ist die Bindung an ein Unternehmen und die Identifizierung mit ihm äußerst schwach. Wenn die Stimmung im Betrieb schlecht ist, sinkt die Motivation und die Personalfluktuation steigt. In einem Unternehmen, in dem der Mitarbeiter wertgeschätzt wird und das auch spürt, das Rücksicht nimmt auf die sozialen und familiären Belange der Mitarbeiter, gibt es weniger Personalwechsel und eine höhere Leistungsbereitschaft.

Was können mittelständische Familienbetriebe besser als Konzerne?

Zollitsch: Besonders in mittelständischen Familienbetrieben ist die Bindung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer direkter: Ein guter Unternehmer kennt jeden seiner Mitarbeiter und merkt schnell, wenn etwas im Argen liegt. Im Dialog können manche Probleme schneller, direkter und effizienter gelöst werden als im Arbeitskampf.

Wie schätzen Sie das soziale Engagement der Familie Mack im Europa-Park ein?
Zollitsch: Das breite religiöse und soziale Engagement der Familie Mack im Europa-Park beobachte ich mit großem Respekt. Die Familie führt ein erfolgreiches Unternehmen. Der Europa-Park ist für eine unübersehbare Zahl von Menschen zu einem Ort der Erholung, der Entspannung, der Freude und Begegnung geworden. Die Vielzahl der Angebote antwortet auf die Erwartungen der Menschen. Ich weiß es besonders zu schätzen, dass der Europa-Park den ganzen Menschen im Blick hat, also auch zu Gottesdiensten, Gebet und Besinnung einlädt, Räume dafür geschaffen hat und weiterhin schafft. Die besonderen Einladungen – etwa an Jugendgruppen – machen deutlich, dass die Familie Mack an dem, was ihr zu- gewachsen ist, andere teilhaben lässt.
Wie wichtig ist Europa in Ihren Augen?

Zollitsch: Das gemeinsame Europa scheint momentan auf dem Prüfstand zu stehen. Als Kirche halten wir es für sehr bedenklich, wenn Europa nur über Finanzen und den Euro definiert wird. Europa ist mehr als Geld, ESM, Fiskalpakt und Defizitausgleich! Das solidarische und freiheitliche Europa geht weit darüber hinaus: Europa ist eine Wertegemeinschaft – herausgewachsen aus der tiefsten Krise seiner Geschichte und auf den Ruinen des Zweiten Weltkrieges gebaut. Diese Staatengemeinschaft hat unserem Kontinent nicht nur Frieden und Freiheit gesichert, sondern auch wachsenden Wohlstand und nicht zuletzt eine gemeinsame Währung gebracht. In den Mitgliedsländern herrschen Demokratie und Rechtstaatlichkeit: Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts schützt Frieden und Freiheit – Kriege untereinander gehören hoffentlich endgültig der Vergangenheit an. Wir haben allen Grund, dafür dankbar zu sein.

Wo sehen Sie Unternehmer und Unternehmen in der Verantwortung für die Gesellschaft?

Erzbischof Zollitsch: Unsere Gesellschaft zielt auf den Ausgleich zwischen den Kräften des Marktes und sozialer Verantwortung. Zudem ist auf die Balance zwischen Eigenverantwortung des Einzelnen und der subsidiären Unterstützung durch die Gemeinschaft zu achten. Wer in dieser Gemeinschaft finanzielle und ökonomische Macht besitzt, dem kommt auch Verantwortung zu: Die Verantwortung, diesen sozialen Ausgleich zu erhalten und für jene zu sorgen, die aus eigener Kraft nicht ausreichend für sich selbst sorgen können. Die Herausforderung besteht darin, eine Gesellschaftsordnung in Solidarität, eine Gesellschaftsordnung ohne Ausgrenzung zu sichern. Es braucht Frauen und Männer, die mehr mit Taten als mit Worten zeigen, was gut ist: Menschen, die Werte in Freizeit und Beruf, in Familie und Unternehmen authentisch leben und glaubhaft umsetzen – und dies tagtäglich.

Wachsen junge Menschen heute mit weniger Vorbehalten gegenüber anderen Kulturen, anderen Glaubensrichtungen und anderen Nationen auf als noch vor 50 Jahren?

Zollitsch: Die Welt ist in den zurückliegenden 50 Jahren näher zusammengerückt: Einwanderer, Austauschprogramme, die Medien, die sozialen Netzwerke und nicht zuletzt viele Reisen rund um den Globus haben die Menschen enger miteinander verbunden. Wir kennen heute andere Länder, Kulturen und Religionen besser als früher. Durch diese vielen Kontakte sind die Vorbehalte gegenüber anderen Kulturen im Allgemeinen geringer geworden. Zugleich werden wir stärker mit anderen Religionen und Lebensentwürfen konfrontiert. Dass jemand eine andere Nationalität, Hautfarbe oder Religion hat, gilt als vollkommen normal. Wenn aber jemand für seine Überzeugungen, für seinen Glauben öffentlich eintritt, wird dieses oftmals als exotisch, ja manchmal sogar als bedrohlich empfunden. Toleranz und Gleichgültigkeit dürfen nicht miteinander verwechselt werden.

Die Präsenz von Kirche und Seelsorge in einem Freizeitpark – ist das sinnvoll?

Zollitsch: Das Angebot der katholischen und evangelischen Kirche im Europa-Park gibt es jetzt seit sieben Jahren. Die Erfahrungen zeigen: Es lohnt sich, als Kirche den Menschen dort nahe zu sein, wo sie sich gerade befinden. Gott ist überall da, wo die Menschen sind: Bei der Arbeit, in der Schule, zuhause, im Internet, im Urlaub oder auch in einem Freizeitpark. Gerade bei den vielen spannenden Attraktionen braucht man ab und zu Entspannung – vielleicht auch eine geistige Verschnaufpause. Da bieten sich die Stabkirche, die Böcklinskapelle und das Café Benedetto an. Darüber hinaus gibt es viele Veranstaltungen im Europa-Park – zu Krippenspiel und Begegnungstagen kommen die Menschen sehr gerne. Deshalb ist die Präsenz von Kirche und Seelsorge im Freizeitpark für alle Beteiligten wertvoll und macht Sinn.

Erzbischhof Robert Zollitsch trifft Papst Benedikt XVI.
Welcher Moment hat Sie persönlich beim Papstbesuch in Freiburg am meisten beeindruckt?

Zollitsch: Mit großer Freude und tiefer Dankbarkeit schaue ich auf den Besuch des Heiligen Vaters bei uns in Freiburg zurück. Er hat uns ermutigt und im Glauben gestärkt. Jede Stunde war besonders, jede Begegnung beeindruckend. Was mich am meisten bewegt hat, waren die vielen Jugendlichen, die zum Abendgebet mit Papst Benedikt gekommen sind. Das hat mir gezeigt, dass der Glaube an Jesus Christus und seine frohmachende Botschaft ganz jung sind und wir voller Hoffnung sein können. Zusammen mit vielen anderen konnten die Jungen und Mädchen, die jungen Männer und Frauen erleben, dass wir eine große Gemeinschaft des Glaubens sind. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, sondern können selbstbewusst hinausgehen und die gute Nachricht von der Liebe Gottes weiter verbreiten.

Welchen Rat geben Sie einem jungen Menschen mit auf den Weg, der ganz am Anfang seiner beruflichen Karriere und seines Familienlebens steht?

Zollitsch: Unser ganzes Leben lang – und ganz besonders am Anfang unseres Berufs- und Familienlebens – müssen wir Entscheidungen treffen und Weichen für den weiteren Weg stellen. Im Vertrauen auf die Liebe Gottes kann ich meinen Weg gehen und weiß, dass ich nie allein bin. Die Kernfrage dabei ist: Was ist mir wichtig im Leben? Dabei ist die Sehnsucht nach gelingender Beziehung, nach beruflichem Erfolg und gesellschaftlicher Anerkennung tief in uns Menschen verankert. All dies hängt von unserer Begegnung mit anderen Menschen ab.

Schenken Sie uns eine Lebensweisheit.

Zollitsch: Was Gott mir schenkt, gibt er mir nicht nur für mich, sondern immer auch für Andere.

Wie und wo machen Sie am liebsten Urlaub?

Zollitsch: Am liebsten mache ich Urlaub in den Bergen. Beim Wandern hoch oben kann man den Alltag im Tal hinter sich lassen. Das Wandern hat für mich auch eine spirituelle Komponente: Mit jedem Aufbruch muss ich etwas zurück lassen und Neuland betreten. Ich weiß noch nicht, was auf mich zukommt. Aber mit jedem Schritt den Berg hinauf kann ich klarer sehen; und wenn ich auf dem Gipfel angekommen bin und zurück blicke, sehe ich, was ich schon geleistet habe. Oft gibt es oben ein Gipfelkreuz, und da merke ich: Hier bin ich Gott nahe, hier darf ich ganz ich selbst sein – und das ist für mich Erholung.

Das Gespräch führte Horst Koppelstätter