Das Wunder von Dresden

Erinnerung an einen genialen Gemeinschaftsakt zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Frauenkirche/ Wie der Europa-Park die historische Leistung unterstützt

Der erste Juni 1993 war für viele Dresdener ein Freudentag. Überraschenderweise war unter dem langsam abgetragenen Schutt der im Krieg zerstörten Frauenkirche das Kreuz zum Vorschein gekommen, das bis zum 15. Februar 1945 über „Elbflorenz“ thronte. Heute ist es im Innern der wiederaufgebauten Kirche zu sehen: Verbeult vom Schutt, deformiert von der Hitze des Feuersturms, ist noch immer von erhabener Schönheit. Johann George Schmidt hat es entworfen, der Architekt der nahen Kreuzkirche. Ein Hoffnungszeichen. Manchem Einwohner erschien die wieder aufgetauchte Eisenskulptur als Symbol für die wie ein Phönix aus der Asche wieder erstandene Stadt. Sollte es nicht auch möglich sein, das lange verschwundene Wahrzeichen Dresdens sichtbar, die berühmte barocke Vedute wieder komplett zu machen?
Immer mehr Menschen träumten nun vom Wiederaufbau der Frauenkirche und folgten dem 1990 von der „Stiftung Frauenkirche“ getätigten  „Ruf aus Dresden“. Die Überzeugung, dass die vollständig zerstörte Frauenkirche wieder aufgebaut werden müsse, teilten bereits nach der Zerstörung  viele in- und außerhalb Dresdens. Aber es sollte 45 Jahre dauern, bis die Erfüllung dieses Wunsches in greifbare Nähe rückte. Ganze 60 Jahre mussten vergehen, ehe die Frauenkirche wieder in ihrer vollen barocken Schönheit die Tore für die Menschen öffnen konnte. Erste Bestrebungen zum Wiederaufbau gab es schon in den letzten Kriegsmonaten. Da in der DDR der Wiederaufbau einer Kirche jedoch keine Priorität hatte, waren die Bedingungen erst nach der politischen Wende gegeben. 

Dank der beeindruckenden Initiative von Bürgern wurde die Wiederaufbauidee in die ganze Welt getragen. Über elf Jahre hinweg wurde die Kirche Stück für Stück wieder aufgebaut unter weitestgehender Verwendung historischer Materialien.
Bei der gemeinnützigen Stiftung Frauenkirche Dresden heißt es volle Dankbarkeit: „Das war eine kaum fassbare Gemeinschaftsleistung. Der Wiederaufbau der Frauenkirche konnte nur gelingen, weil Menschen aus aller Welt in selbstloser Art und Weise bereit waren, durch eine Spende mitzuhelfen. Wohl keiner hätte zu Baubeginn davon zu träumen gewagt, wie groß die Zahl der Spender und wie hoch die gespendete Summe letztendlich sein würde. Es war so etwas wie das „Wunder von Dresden“.

Bis zur Weihe der Frauenkirche am 30. Oktober 2005 wurden also mehr als 100 Millionen Euro gespendet. Rund 70 Millionen kamen durch die gemeinsame Stifterbriefaktion der Stiftung Frauenkirche und der Dresdner Bank zusammen, 31 Millionen wurde durch die Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden  eingeworben. Damit wurde das ursprünglich gesetzte Ziel, weit übertroffen.


Mit der beeindruckenden Zahl von 100 Millionen Euro lässt sich aber nur ein unvollständiges Bild der Initiativen für den Wiederaufbau der Frauenkirche zeichnen. Eine Vielzahl kostenloser oder stark ermäßigter Sachleistungen und das unvergleichliche ehrenamtliche Engagement wurden auf keinem Spendenkonto verbucht, waren aber unverzichtbar für das Gelingen des Gesamtprojektes. Durch eine Vielzahl von Spendenaktionen und Benefizveranstaltungen haben sie erheblich zum Spendeneingang beigetragen. Ab 400 Euro war es möglich, eine Patenschaft für einen Stein oder ein größeres Bauteil einzugehen. Ab einer Spende in Höhe von 4.000 €  konnte man einen Sitzplatz in der 3. oder 4. Empore, ab 8.000 € einen Sitzplatz in einer Kirchenbank der 1. oder 2. Empore adoptieren, der durch ein personalisiertes gekennzeichnet wurde. Tausende Stein- und Sitzplatz und Orgelpfeifen-Paten fanden sich ein. 

Hervorzuheben ist auch das besondere Engagement des großen sächsischen Trompeten-Virtuosen Ludwig Güttler - eines Mannes der ersten Stunde.
Durch unzählige Benefizkonzerten mit seinen Virtuosi Saxoniae - regelmässig übrigens auch in der Christuskirche im südbadischen Effringen-Kirchen - fuhr der Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden Zigtausende ein. Bundespräsident Horst Köhler verlieh ihm dafür das Bundesverdienstkreuz und die Queen ernannte den heute 78-Jährigen 2007 für seinen „bedeutsamen Beitrag für die Versöhnung beider Völker“ zum „Officer of the Order of the British Empire (OBE)“.

Auch Familie Mack hatte sich damals beteiligt.

Roland Mack:

"Bei einer großen Spendengala mit dem Trompeter Ludwig Güttler hier im Europa-Park ist eine hohe Summe von mehr als 80.000 Euro zusammengekommen. Namhafte Unternehmen war hier und habe an dem Abend gespendet, darunter auch die damalige Verlegerin Aenne Burda. Aufgrund dieser Aktion war es möglich, ein ganzes Kirchenfenster in der Frauenkirche zu bezahlen.
Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche war ein friedensstiftendes Projekt mit einem hohen Symbolcharakter. Deshalb waren wir als Familie sofort dabei, als wir um Unterstützung gefragt wurden. Ein Effekt am Rande, an den wir damals gar nicht gedacht hatten: Über diese Hilfsaktion sind wir als Europa-Park übrigens auch im Ostens Deutschland noch wesentlich bekannter geworden. Es war ein Stück Solidarität für den Wiederaufbau der wunderschönen Stadt Dresden. Ich war damals auch Beirat bei der Dresdner Bank und die große Hilfsaktion wurde ja auch maßgeblich durch die Dresdner Bank initiiert."

Ohne öffentliche Gelder wäre aber der Wiederaufbau gleichsam undenkbar gewesen. Der Bund, der Freistaat Sachsen und die Landeshauptstadt Dresden unterstützten den Bau mit Mitteln in Höhe von insgesamt 70 Millionen Euro.



Ein Blick zurück:

Als mit der Aufrichtung des ersten Kuppelkreuzes am 27. Mai 1743 die protestantische Frauenkirche - ihren Namen hat sie von der im Luthertum nicht mehr verehrten Muttergottes  - nach siebzehnjähriger Bauzeit endlich vollendet ist, liegt ihr Architekt schon seit fünf Jahren im Grab. Mit seinem kühnen Entwurf versetzte der als Konstrukteur noch nahezu unbekannte Ratszimmermeister George Bähr den zum Katholizismus übergetretenen sächsischen Kurfürsten und polnischen König Friedrich August („der Starke“) in Staunen.
Bei der Einweihung der Kirche ist August schon zehn Jahren tot und Bährs evangelische Stadtkirche stellt die prächtige katholische Hofkirche seines Nachfolgers mühelos in den Schatten. Auch die architektonischen Vorbilder hatte der Baumeister hinter sich gelassen: die venezianische Kuppelkirche Santa Maria della Salute, - von der August ihm vorgeschwärmt, die er aber nie selbst in Augenschein genommen hatte - sowie die Wallfahrtskirche Maria Hilf im oberpfälzischen Neumarkt. Entstanden ist ein singuläres bauliches Kunstwerk: das Stein gewordene Himmelsrund und eine Fanfare des Protestantismus. Bald schon erobert der Volksmund die über neunzig Meter hohe Kuppelkirche: „Glocke von Dresden“, „dicke Madame“ oder „steinerner Trotzkopf“ wird sie genannt. Für mehr als zwei Jahrhunderte krönt sie die Silhouette der „feinen Salonstadt“, wie Goethe die Kapitale des von Napoleon zum Königreich erhobenen Sachsen nennt.
Als problemlos erweist sich der Bau indes nicht. Die ursprünglich hölzern konzipierte 25 Meter hohe Kuppel, nach Bärs Berechnungen in Sandstein ausgeführt, lastet schwer auf den vier Pfeilern. Häufige Reparaturen sind die Folge. Noch zwei Jahre vor ihrer Zerstörung wird die Kirche aufwendig restauriert. Die Dresdener halten es für wenig wahrscheinlich, dass ihre kulturhistorisch hochbedeutende, aber nicht kriegsrelevante Stadt von größeren Luftangriffen heimgesucht wird. Tausende von Flüchtlingen haben in ihr Schutz gefunden. In der Nacht vom 13. zum 14. Februar nähern sich  die von General Harris beorderten britischen Fliegerverbände. In Zwei Angriffswellen werfen sie große Mengen Sprengbomben und schliesslich 650 000 Brandbomben auf die Stadt ab. In den zwei folgenden Tagen kommt es zu weiteren Flächenangriffen amerikanischer Bomber.  Schätzungsweise 250 000 Menschen sterben, 80 000 Wohnungen werden zerstört - das Drama von Dresden. In der Krypta der Frauenkirche gelingt es 300 Menschen dem Feuersturms  zu entkommen; bis zum 15 Februar halten ihre Mauern stand, dann gibt die Kuppel des ausgebrannten Gotteshauses nach.

Der Vater des Goldschmieds Alan Smith war einer der Piloten, die Bomben auf Dresden warfen. Das Erlebnis des gewaltigen Feuerballs brannte sich traumatisch in seine Erinnerung ein, die er an den Sohn weiter gab:  "Vom einen auf den anderen Moment war er sich des Horrors, des Leids bewußt. Er wollte, daß Dresden nicht in Vergessenheit gerät.", berichtet Alan Smith. Als er erfährt, dass der Britische Dresden-Trust ein Kuppelkreuz für die Dresdener Frauenkirche stiften will und einen erfahrenen Kunstschmied sucht, sieht er sich in der Pflicht. Unter den Händen von Smith, nach Plänen aus Dresden entsteht das „Versöhnungskreuz“ in der Londoner Silberschmiede Grant McDonald. Beim Staatsbesuch von Bundespräsident Roman Herzog auf Schloss Windsor am 1. Dezember 1998 wird es von der Queen erstmals öffentlich präsentiert. Nach einer Reise durch verschiedene englische Städte wird es schliesslich im Jahr 2000 in  Dresden feierlich in Empfang genommen. Während die Kirche unter einem flexiblen Arbeitsdach erstaunlich schnell wächst, kann das Kreuz am Rand der Baustelle betrachtet werden. Bereits vier Jahre später schwebt es in Anwesenheit des Herzogs von Kent, auf der hölzernen Laternenkuppel in die Höhe; Tausende sehen zu.

Erstmals seit ihrer Zerstörung vor 59 Jahren zeigt sich die Frauenkirche nun wieder komplett. Ein offizielles „Mahnmal für den Frieden“ waren ihre Trümmer in der DDR-Zeit, die neue Frauenkirche ist es nicht minder. Ihre Mauer enthält - bis auf die durch stählerne Ringanker verstärkte Kuppel - 3539 dunkle Steine aus dem kriegszerstörten Altbau. Das größte zusammenhängende Ruinenteil, das beim Wiederaufbau integriert wurde, ist der Chor.
Was noch wie ein Mosaik wirkt wird mit der Zeit auch optisch zusammenwachsen: Der „frische“ Sandstein dunkelt rasch nach und die alten Steine wurden 2017 gründlich gereinigt und witterungsbeständig gemacht. Vor allem das 500 000 Euro teure Kuppelkreuz, finanziert aus britischen Spenden, bleibt ein sprechendes Symbol der Versöhnung. Ebenso das kleine Kreuz im rekonstruierten Hauptaltar, ein weiteres Geschenk von der Insel. Es besteht aus drei langen Zimmermannsnägeln aus der von den deutschen Bombern zerstörten Kathedrale von Coventry, Dresdens britischer Partnerstadt.

Ab dem Jahr 2010 bilden Jährlich am 13. Februar mehrere tausend Menschen zum achtstimmigen Geläut ihrer Glocken eine Kette um die Frauenkirche und das Dresdener Zentrum - in Erinnerung an die Opfer des Bombenkrieges, als Mahnung für den Frieden, auch in Dankbarkeit darüber, dass die Stadt ihre „Seele“ wieder hat. Wie sagte doch Landesbischof Jochen Bohl bei der offiziellen Einweihung am 30. Oktober 2005: „Die Frauenkirche ist ein Gottesgeschenk, das die Menschen einander gemacht haben“.
Man darf dankbar dafür sein, auch siebzehn Jahre danach - und nicht nur in Dresden.

Stefan Tolksdorf/hok