Von Mönchen und Maultaschen

Die „Klosterroute Nordschwarzwald“ hält viele Überraschungen bereit

Früher ging man hier zu Fuß – Pilger, Bauern, Mönche und Handwerker – und auch heute ist Schusters Rappen wohl die authentischste Weise, sich die neue „Klosterroute Nordschwarzwald“ zu erschließen: Vier Klöster auf einer Strecke von etwas mehr als hundert Kilometer. Es geht durch herrliche Mittelgebirgstäler, entlang reißender Bäche und Flüsse, auf den Spuren von Flößern und Glaubensflüchtlingen.

Und gleich zu Beginn wartet ein Highlight. Seit 1993 zählt das ehemalige Zisterzienserkloster Maulbronn zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das Idealbild einer mittelalterlichen Abtei. Die spätromanisch- frühgotische Anlage mit ihrem Fachwerk-Wirtschaftshof gilt als die besterhaltene Klosteranlage nördlich der Alpen.

Nicht umsonst bestimmten Jean Jacques Annaud und Bernd Eichinger die stimmungsvollen Räume zum Schauplatz der Verfilmung von Umberto Ecos ́ Erfolgsroman „Der Name der Rose“. Näher als hier ist man dem mittelalterlichen Mönchtum in Deutschland nirgends. Außerdem verbindet sich kaum ein anderes Kloster mit den Namen so vieler Berühmtheiten. Der Reformator Vannius, der Astronom Johannes Keppler, die Dichter Friedrich Hölderlin, Georg Herwegh, Justins Kerner und Hermann Hesse – sie alle haben in der berühmten evangelischen Stiftsschule gebüffelt, nicht selten auch gelitten.

Hölderlin an Liebeskummer, der junge Hesse, der von hier floh, am rigiden Lehrbetrieb. Mehrmals hat der spätere Nobelpreisträger Maulbronn in seinen Werken verewigt, als Ort der gemischten Gefühle: Zwang, Ohnmacht, romantische Träume.

 Ein absolutes Highlight ist das Kloster Maulbronn.

Auch eine berühmt-berüchtigte Dame liegt hier begraben – die „Dame Luzifer“, wie sie Friedrich Schiller nannte. Caroline Schlegel- Schelling war ein Stern der Jenaer Romantik, weit mehr als nur die Ehefrau zweier deutscher Geistesgrößen. Selbst Johannes Faustus, historisches Vorbild für Goethes „Heinrich“ Faust soll im gleichnamigen Turm auf dem Klosterareal einmal Gold zu fabrizieren ver- sucht haben – für seinen Schulfreund, den verschwenderischen Abt Entenfuß, der schließlich mit Schimpf und Schande davon gejagt wurde.

Und dann ist da noch die Geschichte mit den Maultaschen. Ein findiger Maulbronner Klosterbruder, das zisterziensische Fleichverbot geschickt umgehend, soll hier fein gehacktes Fleisch in Teigtäschchen versteckt haben, ein so genanntes „Herrgottsb‘scheißerle“. Beginn einer urschwäbischen Tradition – auf damals Kurpfälzer Gebiet. Namensgeber für die Schwäbische Leibspeise ist demnach das Maultier, das den Gründermönchen, der Legende nach, den geeigneten Platz für das Kloster zeigte. Geschichten über Geschichten!

Sie alle kommen aber gegen die Macht des roten Buntsandsteines nicht an, der hier alles dominiert. Faszinierende Räume wurden mit ihm gestaltet: die Paradies-Vorhalle, der Speisesaal der Konversen, der gotische Kreuzgang – teils in der unverkennbaren Manier jenes bewundernswerten „Meisters von Maulbronn“, der vielleicht aus Burgund kam und auch in Halberstadt und Naumburg wirkte. Unübertroffen in ihrer Eleganz auch die beiden Refektorien (für die kalte und warme Jahreszeit), der zum Kreuzgang offene Kapitelsaal und natürlich das berühmte Brunnenhaus mit den (später fälschlich aufgesetzten) drei Schalen. Solche Schönheit mag leicht darüber hinweg täuschen, dass (neben der Küche) im Konvent nur ein beheizbarer Raum bestand, das Kalefaktorium. Das Leben der Mönche muss, trotz zahlreicher Vergünstigungen und wachsender Herrschaftrechte, unvorstellbar hart gewesen sein.

 Das Kloster Hirsau bei Calw hatte einst eine große Bedeutung.

Als Steinbruch missbraucht

Weiter geht es auf unsrer Klosterroute. Nicht weniger bedeutend als Maulbronn, gar von historisch größerem Gewicht, war die 63 Kilometer östlich gelegene Benediktinerabtei Hirsau, gegründet 1091und schon seit 300 Jahren Ruine. Zum Zeitpunkt seiner Errichtung im späten 11. Jahrhundert war St. Peter und Paul das größte Kloster im deutschsprachigen Raum. Zwei karolingische Vorgängerbauten zeugen von der Bedeutung des Ortes. Beinahe italienisch mutet er an, der markante nördliche Westturm mit seinen romanischen Zwillingsfenstern, in dem heute Eulen und Falken leben. Die ungewöhnliche Länge der im Pfälzer Erbfolgekrieg zerstörten Kirche unterstrich die Bedeutung der cluniazensischen Klosterreform, die im deutschen Sprachraum vor allem von diesem Kloster Ende des 11. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm. Die so genannte Hirsauer Bauschule vermittelte überdies wichtige Impulse an die Kunst der Romanik: vergrößerte Seitenschiffe, Staffelchoranlagen, keine Krypta und Empore, einfache Würfelkapitelle, doppelte Schildbögen, Schachbrettornamente und auf den Kapitellen die berühmten „Hirsauer Nasen“.

In Hirsau findet sich all dies nur noch in Rudimenten – bestens aufbereitet im vorbildlichen Klostermuseum. Allzu gründlich hat man während der letzten Jahrhunderte das vom Haus Württemberg säkularisierte, und von den Franzosen geplünderte Kloster als Steinbruch missbraucht. Aber sind nicht auch die Ruinen zauberhaft? Alljährlich bilden sie die Kulisse für den weithin bekannten Calwer Klostersommer mit zahlreichen Künstlern aus Klassik und Pop, auch Open-Air-Kinoaufführungen finden hier statt.

Es lohnt sich also, für den Besuch des ehemals bedeutenden Kloster der „päpstlichen Partei“ im ostfränkischen „Heiligen Römischen Reich“ ein wenig mehr Zeit einzuplanen. Wie für die nahe Flößer-Stadt Calw! Der Dichter Hermann Hesse, Sohn pietistischer Missionare, erblickte 1877 hier das Licht der Welt. Er nannte Calw „die „schönste Stadt von allen“. Das Hesse-Museum informiert über Leben und Werk des Getriebenen. Imponierend auch die stattliche Anzahl von mehr als 200 teils prächtigen Fachwerkhäusern – und die Umgebung der Stadt ist ein Wanderparadies.

 Besonders idyllisch liegt das Kloster Wildberg.

Geplündert im Bauernkrieg

Vierzehn Kilometer südöstlich, per pedes oder Fahrrad ideal zu erreichen, liegt unser drittes Ziel, das Schwarzwaldstädtchen Wildberg mit seiner stattlichen Burgruine und den Resten des ehemaligen Dominikanerinnenklosters Maria Reuthin. Der Stiftung des Grafen Burkhards IV. von Hohenberg auf einer gerodeten Ufertrasse der Nagold wurde in der Geschichte übel mitgespielt: geplündert im Bauernkrieg 1525, von Herzog Ulrich säkularisiert und 1824 größtenteils in Flammen auf- gegangen. Wenige Baulichkeiten erzählen noch von der früheren Bedeutung. Töchter des niederen Adels waren hier untergebracht und genossen, in relativem Wohlstand, unter der Ordensregel ein Stück persönlicher Freiheit. Als sie sich 1535 weigerten, das reformatorische Be- kenntnis ihres Landesherrn anzunehmen, wurden sie vertrieben. Das adlige Damenkloster war nicht zuletzt ein Zentrum der Textilproduktion.

Eine interessante Ausstellung im ehemaligen Fruchtkasten (Heimatmuseum) informiert über die Schäfereirechte und das Handwerk der Schäfer im Nagoldtal – Ursprung für einen Brauch, der noch heute zahlreiche Besucher in die Schwarzwaldgemeinde lockt: den Wildberger Schäferlauf am dritten Juli-Wochenende, regelmäßig eröffnet mit dem Heimatstück „Der Klosterschäfer und des Teufels Puppenspieler“.

 Das Bild zeigt den Marienaltar im Kloster Alpirsbach.

Strenge Stille

Wer das Musterbeispiel der „Hirsauer Bauschule“ im nördlichen Schwarzwald entdecken will, sollte der neuen Klosterroute bis zu ihrem Endpunkt folgen, zum Kloster Alpirsbach. Jahrhundertelang war das Stift das (nicht immer vorbildhafte) Muster einer reichen adligen Benediktinerabtei. Der steile nördliche Chorflankenturm zeugt vom Stolz ihrer Bewohner. Aber die strenge Stille im Kircheninnern! Vielleicht der schönste romanische Raum im deutschen Südwesten.

Die flach gedeckte dreischiffige Basilika, von allem späteren Dekor befreit, präsentiert sich im Blick vom Chor zur Westwand als ein wahres Muster romanischer Klarheit. Der strenge Geist der cluniazensischen Kirchenreform ist hier noch spürbar. Die auf Luftkissen fahrbare neue Orgel stört diesen Eindruck nicht – im Gegenteil. Das von dem Schwarzwälder Bildhauer Armin Göhringer und dem Orgelbauer Claudius Winterhalter geschaffene außergewöhnliche Instrument besticht durch formale Schönheit und fügt sich ideal in den Raum.

Durch das Dormitorium und Teile des Kreuzgangs geht die interessante Klosterführung; im frei zugänglichen Museum erfährt man überdies allerlei Interessantes über das Leben und Wirken der Mönche, das hier mit der Einführung der Reformation 1535 sein Ende fand. Der spätere württembergische Reformator Ambrosius Blarer war zuvor Prior im Kloster.

Kein Besuch in Alpirsbach ohne Würdigung des Bieres, auf dessen Fabrikation sich die Mönche bekanntlich meisterhaft verstanden. Die benediktinische Brautradition fand im Städtchen eine erfolgreiche Fortsetzung – mit dem „Alpirsbacher Klosterbräu“. Seit 1877 befindet sich das Unternehmen in den Händen der Familie Glauner. Eine Besonderheit der Brauerei: die „Bierpipeline“ zwischen Sudhaus, Lagerkeller und Abfüllhalle. Tiefe Einblick in die Entwicklung des Brauwesens vermittelt das firmeneigene Museum (Führungen in der Regel täglich um 14.30 Uhr am Info-Zentrum).

Natürlich gilt auch für die Klosterroute Nordschwarzwald der Spruch des Konfuzius: „Der Weg ist das Ziel.“ Und an interessanten Wegen herrscht kein Mangel: Gäurandweg, eine uralte Fernwanderstrecke, Hugenotten- und Waldenserpfad, Ostweg und Flößerpfad – all diese Natur- und Kulturwege erschließen unsere Klosterroute. Ideal lässt sich die Tour aber auch auf dem Drahtesel erleben. In jedem Fall erschließt sich, neben der herrlichen Landschaft, auch ein faszinierendes Kapitel Landesgeschichte: 1.000 Jahre Mönchsleben im Land zwischen Neckar und Oberrhein.

www.schwarzwald-tourismus.de (Stichwort „Klosterroute“)

Stefan Tolksdorf