Riesige Chancen
 für junge Menschen

Gespräch Diandra Witt und Joachim Wohlfeil

Gespräch mit der angehenden Bäckerin Diandra Witt aus Bretten und dem Präsidenten der Handwerkskammer Karlsruhe, Joachim Wohlfeil, über die Situation und die Zukunftschancen im Handwerk

Die 24-jährige Diandra Witt hat vor ihrer Ausbildung als Bäckerin die Realschule mit der mittleren Reife abgeschlossen und anschließend die Berufsfachschule für Mediengestaltung besucht und das Berufskolleg für Grafik- Design absolviert.

Seit 2016 lernt und arbeitet sie als angehende Bäckerin in der Bäckerei Leonhardt in Bretten.

Joachim Wohlfeil steht seit 1999 an der Spitze der Handwerkskammer Karlsruhe, die die Interessen von 19.000 Betrieben mit circa 100.000 Beschäftigten und 6.000 Lehrlingen wahrnimmt.

Er ist gelernter Gas- und Wasserinstallateur, der nach der Meisterprüfung im elterlichen Betrieb arbeitete und 1986 das Unternehmen übernahm.

Die Ernst Wohlfeil GmbH beschäftigt heute 50 Mitarbeiter und hat ihren Sitz in Rheinstetten.

Wie sind Sie eigentlich zum Handwerk gekommen? Wer hat Sie unterstützt, diesen Beruf zu wählen?

Diandra Witt: Ich bin mit der Bäckerei Leonhardt in Bretten aufgewachsen, ich wohne in der gleichen Straße. Das ist ein Familienunternehmen mit langer Tradition. Schon als Kind habe ich dort immer für die ganze Familie Brötchen geholt. Das fand ich immer toll, ich kenne die Leute dort und es ist für mich wie ein Gefühl von Heimat. Deshalb habe ich da angefangen mit der Ausbildung zur Bäckerin. Viele denken, das ist ein Männerberuf, aber ich habe mich durchgesetzt und inzwischen sind auch alle Menschen in meinem Umfeld davon überzeugt, dass der Beruf optimal für mich ist ...

... und wie war es beim Präsidenten Wohlfeil?

Joachim Wohlfeil: Bei mir war es eine Notlage. Der Einmann-Betrieb meines Vaters war nicht stark genug, da habe ich mich entschlossen, die Schule abzubrechen und den Beruf des Installateurs zu erlernen. Mich hat das Handwerk interessiert und ich habe an die Zukunft des Handwerks und des Betriebes meines Vater geglaubt. So bin ich da eingestiegen. Aus dem damaligen Zweimann-Betrieb wurde bis heute ein Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern.

Wie schwierig ist es, morgens so früh aufzustehen, um rechtzeitig in der Backstube zu sein? Wann stehen Sie eigentlich auf?

Witt: Das ist unterschiedlich von Wochentag zu Wochentag, je nach Programm in der Bäckerei. Das kann um ein Uhr sein oder um fünf Uhr. Mir macht das nichts aus. Ich bin fit, wenn ich sehr früh aufstehen muss.

Herr Wohlfeil, würden Sie mal mit Frau Witt tauschen wollen?

Wohlfeil: Mir würde es nicht so viel ausmachen, da ich ohnehin immer um fünf Uhr morgens aufstehe. Ich habe auch immer mal Spaß gehabt an Nachtschichten. Nachts zu arbeiten ist übrigens eine vollkommen andere Atmosphäre. Ich könnte mir durchaus vorstellen, auch mal beim Bäcker morgens mitzumachen.

Warum ist es so schwierig, Nachwuchs im Handwerk zu finden?

Witt: Ich finde, es gibt einfach zu viele Vorurteile, ohne dass die Leute mal schauen, wie es wirklich läuft. Der Beruf des Bäckers ist da ein gutes Beispiel. Jeder junge Mensch sollte sich das mal selbst anschauen, bevor er sich ein Urteil bildet.

Sie sind Ausbildungsbotschafterin – was machen Sie da genau?

Witt: Ich werde von Schulen eingeladen. Meistens in achte oder neunte Klassen. Ich stelle den Beruf vor und erzähle auch, wie es wirklich ist. Es bringt nichts, das Blaue vom Himmel zu erzählen. Das merken die jungen Leute schnell. Da gibt es dann viele Fragen. Ich berichte dann aus dem Alltag, aus unserer Bäckerei, die ja auf französische Backkunst und innovative Brotkreationen spezialisiert ist. Das ist schon interessant. Die Jugendlichen wollen natürlich auch wissen, wie die Schule abläuft, welche Fächer es gibt, wo die Schule ist. Da kann ich auch viele Vorurteile abbauen.

Welche Perspektiven haben Sie eigentlich als angehende Bäckerin?

Witt: Ich kann noch den Meister machen, es ist auch möglich Betriebswirt zu werden, Lebensmitteltechniker und Lebensmitteltechnologe. Natürlich kann man mit Fachabitur auch Studieren, das wird oft Vergessen, dass das ja im Handwerk durchaus auch möglich ist.

Und Ihre persönlichen Pläne?

Witt: Ich will studieren. Entweder Lebensmitteltechnologie oder Ernährungswissenschaften. Man kann in sehr kurzer Zeit sehr weit kommen. In unserem Betrieb arbeitet beispielsweise der Bundessieger vom vergangenen Jahr, der ist übrigens noch jünger als ich. Wer fleißig ist, kann im Handwerk wirklich viel erreichen.

Wohlfeil: Ich finde, die Karrierechancen im Handwerk sind viel größer, als man auf den ersten Blick denkt. Alle Betriebe sollten noch stärker den Kontakt zu jungen Menschen suchen und ihnen die Türen öffnen. Wir können den jungen Leuten auch die finanziellen Möglichkeiten aufzeigen, das ist ja auch ein wichtiger Aspekt. Natürlich gibt es bei einer Selbstständigkeit und dem Durchhalten ein Risiko. Die Attraktivität im Handwerk ist aber in der Gesamtabwägung ohne Übertreibung riesig. Wenn Frau Witt als Ausbildungsbotscherin rausgeht, ist das die schönste Werbung für das Handwerk. Unsere bundesweite Kampagne ist genauso aufgebaut.

Ist Selbstständigkeit für Sie ein Thema?

Witt: Für mich persönlich nicht. Ich möchte in meiner Heimatstadt Bretten bleiben und wollte dann auch meinem Betrieb Leonhardt keine Konkurrenz machen ... da würde ich mir ja wie ein Verräter vorkommen.

Wie ist Ihre Einschätzung: Welchen Stellenwert hat das Handwerk insgesamt in der Gesellschaft?

Wohlfeil: Wir haben schon noch Nachholbedarf. Aber es wird immer besser. Das Bild vom Handwerk muss noch moderner werden. Da müssen alle mitmachen. Die Betriebe haben eine völlig neue Ausstrahlung. Sie investieren sehr viel. Es gibt im Handwerk sehr schöne Unternehmen. Das Schaufenster Handwerk ist sehr präsent. Insgesamt ist in der Gesellschaft die vorherrschende Meinung: Mache erstmal das Abitur, danach kannst Du immer noch entscheiden.

Die jungen Menschen werden dann zum Teil mit Bildungsangeboten überflutet, dass es sehr schwer für sie ist, herauszufinden, was sie machen wollen. Dabei wird auch oft vergessen, dass sich an eine Lehre auch ein Studium anschließen kann. Wir merken beispielsweise bei Architekten, die aus einer Lehre kommen, dass die völlig anders in der Praxis arbeiten, als wenn sie nur aus dem Studium kommen. Wichtig ist auch, dass derzeit sehr viele Betriebe für junge Menschen zur Verfügung stehen. In den nächsten Jahren suchen mehr als 200.000 Handwerksbetriebe bundesweit einen Nachfolger. 

Natürlich ist es dann wieder nicht ganz einfach, die Finanzierung zu stemmen. Viele junge Leute hätten den Mut, können aber die Finanzierung für die Betriebe nicht aufbringen. Auch da sollten wir verstärkt daran arbeiten. Es fehlt an Programmen, die jungen Menschen an diesem Punkt auf dem Weg in die Selbstständigkeit helfen.

Also es gilt nach wie vor „Handwerk hat goldenen Boden“ ...

Wohlfeil: ... ich kann das nur bestätigen. Wer einen Handwerksbetrieb hat, hat ein lebenslanges, gutes Auskommen für sich und seine Familie. Natürlich braucht man Kondition und einen starken Willen, aus einem Betrieb etwas zu machen und als Unternehmer immer auch etwas zu unternehmen. Man ist jeden Tag gefordert. Weiterbildung ist enorm wichtig. Ohne lebenslanges Lernen geht es nichts. Es heißt: Permanent am Ball bleiben. Auch der Kundenkontakt ist sehr wichtig. Als Handwerker muss ich gerne mit Leuten umgehen. Sowohl mit den Mitarbeitern, aber natürlich auch mit den Kunden. Das ist mitunter ein Lernprozess.

Herr Wohlfeil, was sagen Sie einem jungen Menschen, der vor der Frage steht, einen Handwerksberuf zu erlernen oder in die IT-Branche will oder in eine ganz andere Richtung?

Wohlfeil: Klar muss ein gewisses Interesse an der Handwerksrichtung sein. Bei den Installateurbetrieben geht es oft um Umweltfragen, beim Bäckerhandwerk um Ernährung. Wir befassen uns mit Energieeinsparung und vielem mehr, das sind ja auch elementare Themen. Also, wir haben viel zu bieten. Aber: Es heißt zuerst Dienen und dann erst Verdienen. Doch bei aller Theorie finde ich immer noch am allerbesten eine Schnupperlehre zu machen, dann sieht jeder selbst, gefällt mir das, interessiert mich der Beruf. Da bekommt man das beste Gefühl. Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Es hat keinen Sinn, die junge Leute zu überreden, sondern man muss sie überzeugen. Ich lade dann gerne auch die Eltern dazu ein.

Herr Wohlfeil hat gerade das Thema Ernährung angesprochen. Wie ist das bei Ihnen mit den vielen Ernährungstrends derzeit?

Witt: Bei uns im Betrieb spielt das eine ganz große Rolle. Wir wollen keinerlei Zusatzstoffe. Das erwarten unsere Kunden. Die wollen keine Fertigbackmischungen mehr. Wir verwenden Mehle aus der Region, zum Beispiel das Kraichgaukorn oder das französische Mehl für unser Baguette. Wir sind vollkommen transparent den Kunden gegenüber und zeigen genau, was drin ist. Wir haben keine Geheimnisse. Wer sich interessiert, kann auch in unsere Backstube kommen. Ein offener Arbeitsplatz. Manchmal kommen auch Schüler, beispielsweise zu Brezelbackkursen. Das kommt super an.

Was wünschen Sie der Auszubildenden, Frau Witt?

Wohlfeil: Ich wünsche ihr, dass sie diesen Weg erfolgreich abschließt und hinterher sagt, ich habe es richtig gemacht mit Lehre und Studium. Wenn sie das auch noch weitergibt, ist das die beste Botschaft fürs Bäckerhandwerk nach außen. Wer weiß, vielleicht wird Frau Witt die Firma Leonhardt eines Tages übernehmen, die Chance bestünde ja ...

Was wünschen Sie dem Präsidenten der Handwerkskammer?

Witt: Dass er weiterhin viel Erfolg hat und das Handwerk immer Fortschritte macht und wir alle für die Jugendlichen noch attraktiver werden.

Können Sie den Satz vervollständigen: Ohne Handwerk wäre ...

Wohlfeil: ... die Welt ein Provisorium.

Witt: ... Deutschland ziemlich arm dran.

Ausbildungsbotschafter gesucht

Immer mehr freie Ausbildungsplätze im Handwerk und schon seit einigen Jahren werden nicht mehr alle besetzt. Rund 4.200 aktive Ausbildungsbotschafterinnen und Ausbildungsbotschafter – davon allein im Bezirk der Handwerkskammer Karlsruhe 75 – aus etwa 200 Berufen sind derzeit an den Schulen im Land unterwegs, um Jugendliche über ihren Ausbildungsberuf zu informieren.

Die Ausbildungsbotschafter sind in der Regel nicht viel älter als die Schülerinnen und Schüler selbst und können deren Fragen jugendgerecht und authentisch beantworten.

Mehr Infos zur landesweiten Initiative Ausbildungsbotschafter unter www.gut-ausgebildet.de oder www.facebook.com/gutausgebildet

Ansprechpartner bei der Handwerkskammer Karlsruhe: Barbara Schwarz, Telefon 0721 1600-141, E-Mail: schwarz@hwk-karlsruhe.de

Das Gespräch führte Horst Koppelstätter

Quelle: YouTube