Digitalisierung ist Notwendigkeit

Die Wirtschaft 4.0 erfasst immer mehr auch das Handwerk / Beratung bei der Handwerkskammer Karlsruhe

Eine Jugendstilvilla in Baden-Baden braucht einen neuen Anstrich. Bei der Umsetzung des Auftrags durch den Malerbetrieb von Ingo Griesbach kommt einerseits traditionelles Handwerkerkönnnen zum Tragen. Darüber hinaus setzt Griesbach aber auch modernste, größtenteils unsichtbare Hilfsmittel ein. Sowohl im Büro als auch auf den Baustellen hat der Malermeister Prozesse digitalisiert. Beispielsweise macht er von der Fassade der Jugendstilvilla Fotos mit dem Tablet. Spezielle Softwareprogramme errechnen daraus dann unter anderem den Materialbedarf und verarbeiten die entsprechenden Daten weiter. Wer muss wann wohin, mit welchem Material und mit welchem Werkzeug? „Auch solche Anforderungen werden bei uns digital gesteuert“, sagt Griesbach.

Beim Friseurbetrieb „Uschis Salons“ in Nagold und Rottenburg erhält der Kunde bei seinem Besuch gleich ein Tablet in die Hand gedrückt. Er kann damit während der Wartezeit im Internet surfen. Ist er an der Reihe erfolgt anhand des Computers aber auch die Frisurenberatung. Mit dem Tablet werden Haardiagnosen und Wunschfrisuren sowie -stylings erstellt, bevor die Arbeit mit der Schere beginnt. Termine können ebenfalls längst online gebucht werden. „Als nächsten Schritt werden wir unsere Betriebe stärker miteinander vernetzen, um beispielsweise Materialbestellungen zu vereinfachen und den Mitarbeitereinsatz besser koordinieren zu können“, erklärt Inhaberin Ursula Mozdzierz.

 Digitale Werkzeuge wie Tablets sind auf vielfältige Weise hilfreich.

Der Maler in Baden-Baden und die Friseurin in Nagold sind Vorreiter. Ebenso wie der Dachdecker, der mithilfe von Drohnen den Zustand eines Daches begutachtet, oder der Schreiner, bei dem sich die Kunden schon vor dem Kauf genau ansehen können, wie das gewünschte Regal in ihrer Wohnung aussehen wird, entweder über eine Virtual-Reality-Anwendung oder als 3D-Animation. „Die Digitalisierung wird auch für Handwerksbetriebe immer mehr zur Notwendigkeit, um wirtschaftlich zu arbeiten“, betont Klaus Günter, Beauftragter für Innovation und Technologie bei der Handwerkskammer Karlsruher. Gerade aufgrund der schwierigen Personalsituation im Handwerk könnten digitale Werkzeuge wie Apps, Smartphone, Programme oder Barcodes immer besser dazu beitragen, Verwaltungsaufgaben und Prozesse zu optimieren.

„Die Digitalisierung schafft Chancen für jeden Handwerksbetrieb“, betont Günter. Zur Kundenanbahnung via Homepage, Verwaltung, Zeiterfassung, Konfektionierung, Lagerhaltung oder Visualisierung von Kundenwünschen – bei vielen Betrieben hat die Digitalisierung längst Einzug gehalten. Viele andere Betriebe haben das Thema aber bislang noch vernachlässigt. „Ich will digitalisieren, was muss ich tun?“, beschreibt Günter. Solche unschlüssigen Anfragen gebe es durchaus. Die Handwerkskammer Karlsruhe befasst sich immer intensiver in Veranstaltungen und Workshops mit der Digitalisierung. Über Klaus Günter können auch einzelbetriebliche Beratungen, Informationen zu Förderprogrammen oder Maßnahmen im Rahmen das Projekts „Handwerk 2025“ abgerufen werden.

Wirtschaft 4.0 – auch im Handwerk

Auch die baden-württembergische Landesregierung will die Digitalisierung über die großen Unternehmen und die Metropolen hinaus breiter verankern. Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft wirke sich auf die gesamte Wertschöpfungskette aus und verändere die Produktions- und Arbeitsprozesse in allen Branchen grundlegend, so Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. „Nur wenn Baden- Württemberg die Chancen der Wirtschaft 4.0 nutzt, wird das Land im technologischen Wettbewerb bestehen.“ Der Technologiebeauftragte des Landes, Professor Wilhelm Bauer, ergänzt: „Die Transformation zu einer Wirtschaft 4.0 wird uns nur dann gelingen, wenn wir über Disziplinen, Branchen und Ressorts hinweg zusammenarbeiten und gemeinsam unsere Zukunft gestalten.“ Hoffmeister-Kraut präsentierte Anfang 2018 zehn ausgewählte Standorte für digitale Innovationszentren – so genannte „Digital Hubs“. Bei den vom Land mit insgesamt zehn Millionen Euro geförderten Projekten sollen auch im ländlichen Raum Startups mit etablierten Firmen zusammengebracht sowie die Verbindung zu Hochschulen intensiviert werden. Unter den zehn regionalen Digitalisierungszentren sind mit den Projekten „Digital Hub Bruchsal-Kraichgau“ und „RESPOND“ der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald auch zwei Hubs, an denen die Handwerkskammer Karlsruhe beteiligt ist. Außerdem betreibt das Handwerk das Kompetenzzentrum „Digitales Handwerk“, das innerhalb von fünf bundesweiten Standorten wichtige digitale Themen aufbereitet. So gibt es jeweils einen Standort für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), digitales Bauen, Prozessdigitalisierung, digitale Fertigung und für digitale Geschäftsmodelle.

Klaus Günter rät Handwerkern dazu, sich nicht zu verzetteln. „Man muss sich seinen Betrieb anschauen und herausfinden, was für diese individuelle Situation sinnvoll ist“, so der Experte. „Die Maßnahmen sollen ja nicht zur wirtschaftlichen Belastung werden.“ Es gibt allerdings auch schon Bereiche, in denen Handwerker gar nicht mehr daran vorbeikommen, als auf den Digitalisierungs-Zug aufzuspringen. Günter nennt als Beispiel die digitale Arbeitsmethode „Building Information Modeling“, kurz BIM. Sie hält zunehmend auf Baustellen Einzug und dient zur Vernetzung aller relevanten Daten eines Bauwerks. In mehrdimensionalen Zeichnungen werden Bauteile mit Daten zu Lieferanten, Preisen oder Terminen verknüpft. „Beispielsweise der Daimler-Konzern lässt nur noch mit BIM bauen“, sagt Günter. „Auch bei den privaten Bauten wird das so kommen. In 20, 30 Jahren wird die Verwaltung und Organisation im Handwerk viel mehr automatisiert ablaufen, aber der eigentliche handwerkliche Prozess wird immer noch da sein. Solche Dinge wie BIM müssen Handwerker aber beherrschen, denn nur die, die es können, werden die Aufträge bekommen.“

Christoph Ertz

Info: Weitere Informationen erteilt der Technologie- und Innovationsberater der Handwerkskammer Karlsruhe, Klaus Günter, unter Telefon 0721 / 1600-163

„Die Digitalisierung beginnt nicht erst, sondern wir stecken mittendrin. Sie prägt zunehmend unseren Alltag und unsere Wirtschaft. Wir können uns gegen sie wehren und werden abgehängt – oder wir nutzen ihre Chancen und stehen weiter auf der Gewinnerseite.“


Wirtschafts- und Arbeitsministerin
Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut