Bartkultur & Barbecue

Barbiere und Metzger neu interpretiert

Bärte sind hip. Dabei muss man kein Hipster sein, um Bart zu tragen. Bärte sind derart en vogue, dass sie vom Rockabilly bis zum distinguierten Bankvorstand getragen werden.
Und was ist untrennbar mit einem bärtigen Typen verbunden? Na klar, die Fleischeslust. Oder besser gesagt: die Lust am Fleisch. Soweit das Klischee.
REPORT hat drei Betriebe besucht, die mit neuen Marketingstrategien traditionellen Handwerksberufen ein modernes Facelifting verpassen – und das mit großem Erfolg.
 Vom Schwein zur Wurst: Seminare in der Fleischwerkstatt.

Es reift viele Wochen am tierischen Knochen. Kein anderes Fleisch hat je so viel mediales Aufsehen erregt wie das Dry-Aged. Von vielen erst als Modegag verlacht, gilt das getrocknete und damit veredelte Fleisch aus dem Rinderrücken mittlerweile als das beste Fleisch der Welt.

Metzgermeister Heiko Brath hat früh mit dem Dry-Aging angefangen. Seine Metzgerei in der Klauprechtsstraße gilt als die Adresse für die Spezialität in Karlsruhe. In speziellen Kühlräumen reift das feine Rumpsteak vom Hohenloher Rind. Damit es nicht verschimmelt, findet eine permanente Entkeimung statt.

Da das Fleisch mit der Verdungstung an Gewicht verliert, ist es hochpreisiger als ein normales Steak. Das brachte den Metzger auf eine Idee. Was mit Rindfleisch geht, könnte das nicht auch mit (dem wesentlich günstigeren) Schweinefleisch funktionieren? Skeptikern an allen Fron-
ten zum Trotz hat er es ausprobiert. Heute ist die „Alte Wutz“, das nussig-saftige Kotelett von Schwäbisch-Hällischen Landschweinen, der Renner bei Braths.

1998 hat er gemeinsam mit seiner Frau Heike die Metzgerei des Vaters übernommen. Eine schwierige Zeit für die Geschäftsübernahme – das Thema BSE war gerade in aller Munde. 

Quelle: YouTube

Keiner wollte mehr Rindfleisch kaufen. „Wir mussten so manche Rezeptur ändern ...“, erzählt Heiko Brath, „ ... und zum Beispiel Wurstsorten ohne Rindfleisch herstellen.

Man muss sich den Marktveränderungen schnell anpassen und was Neues machen, Trends früh erkennen“, sagt er, „dabei aber die Tradition immer im Auge behalten.“ Sein Fleisch kommt von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Bei ihm reift es nach und er verarbeitet es zu Wurst- und Schinkensorten weiter.

„Das Bewusstsein für gute Lebensmittel ist gewachsen“, sagt Fleisch-Sommelier Brath. Dabei ist es längst nicht mehr nur das Geschäft über die Theke. Nur der Verkauf allein zieht heute offensichtlich die Wurst nicht mehr vom Teller. „Man muss vor den Laden gehen“, ist Brath überzeugt. „Zum Beispiel Grillen ist heute ein Riesenthema. Es ist sozusagen eine Gegenbewegung zu fehlenden Sozialkontakten und eine gute Gelegenheit, Offline-Kontakte zu pflegen. Die Großfamilie gibt es heute nicht mehr, aber die Sehnsucht nach gemeinsamem Essen ist nach wie vor da.“

An 70 bis 80 Tagen pro Jahr widmet sich Heiko Brath dem Grillen und damit verbundenen Events. Grill-Seminare, Kochkurse, Zerlegekurse und Beeftasting finden in seiner urig und mit viel Holz stylish ausgebauten Hinterhaus-Location statt. Seit zwei Jahren bildet er Fleisch-Sommeliers aus. Er macht bei Bühnenshows mit und zeigt auf Messen seine Grillkünste, sogar Starkoch Johann Lafer begeisterte er mit seiner Schweinefleisch-Neuheit. Sterneköche kaufen gerne bei ihm ein. Aber auch Ottonormalverbraucher, die ein gutes Stück Fleisch lieben. 

Heiko Brath ist herzlich, bodenständig, umtriebig und echt hip. Nicht nur wegen der schmackhaften „Alten Wutz“, deren Namen er sich patentieren ließ. Auch mit seinem Vollbart liegt er im Trend. Um nicht falsch verstanden zu werden: Auch Veganer tragen Bärte. Die schauen in der Klauprechtstsraße allerdings eher nur deshalb vorbei, um sich eine Flasche „Butchers 25“ zu holen, den hauseigenen Gin.

Ein Mann – ein Bart

Wo Gin draufsteht, ist in modernen Barbershops aber noch lange kein Gin drin. Die trendigen Barbiere nutzen die Welt der Brandys eher, um einen Lifestyle auszudrücken. In den Flaschen mit Whiskeylabels im Barbershop „Shave Me“ befindet sich nichts Hochprozentiges, sondern Bartöl, Bartshampoo, Barttonic und andere Pflegeprodukte. Eines der Produkte riecht wie „Jacky Cola“, auch fruchtige Zitronendüfte sind dabei. „Elvis lebt!“: Rockabilly-Musik, Typen in trendigen Klamotten, durchgestylt bis in die letzte Bartspitze, kommen und gehen wieder mit perfektem Bart- und Haarschnitt.

„Der Schnitt hält ein bis zwei Wochen“, sagt Geschäfts- führer Oguzhan Dertlioglu – auch sein Outfit: lässig und trendy mit Hut. Gerade legt er dem Kunden ein heißes Handtuch aufs Gesicht, die Vorbereitung für die Rasur. Der Sessel wird nach hinten geneigt. Ommm! Vor der Rasur wird ein Bartöl aufgetragen. Das macht den Bart geschmeidig und verleiht Glanz. Naturöle mit Salbei, Minze, Orangen, Bergamotte. Mancher Bartträger steht mehr auf Gel oder auch Seife. Hauptsache Pflege, Duft und ein bisschen Wellness für die coolen Jungs.

 Treffpunkt Baberchair: Hier lassen es sich Männer gut gehen.

Der Beautyanspruch der Männer hat sich durch die neue Bartkultur stark verändert. „Hier kann man vom einfachen Bartschnitt, mit Messer oder Rasierapparat, bis zur Färbung und Pflege ganz schön viel Aufwand betreiben“ – Oguzhan Dertlioglu wollte eigentlich Kfz- Mechaniker werden. Seine Stammkunden finden es gut, dass er sich doch noch umentschieden hat. Er führt das Geschäft mit seinem ganz besonderen Stil. Und liegt damit voll auf der Höhe der Zeit.

Doch der Bart muss immer auch im Zusamenhang mit der Frisur gesehen werden, gerne auch in Anlehung an den King of Rock’n Roll – mit Tolle oder als Undercut, Fade, Pilzkopf, Seitenscheitel. Alles ist erlaubt. Der männliche Kopf als Gesamtkunstwerk.

Jeder Bart kostet 15 Euro, dazu gibt es ein Getränk. „Unser jüngster Kunde ist 15. Er kommt fast jede Woche“, freut sich Oguzhan Dertlioglu. Bärte sind ein Mega-Trend.

Im Mittelalter gehörten Barbiere zum Stadtbild. Dem Berufsstand oblag damals neben der Entfernung der Körperbehaarung sogar das Zähneziehen und der Aderlass. 

„Wir entfernen auch andere Haare im Gesicht, auf den Wagen oder um die Augen“, sagt Dertlioglu. Mit einem gespannten Faden wird starker Haarwuchs entfernt. Ohrhaare werden mit einer kleinen Fackel flambiert. Nasenhaare auch mit Wachs abgezogen. Was den Beruf attraktiv macht? „Die Atmosphäre ist einfach lässig. Man kann kreativ sein. Und echte „Männergespräche“ führen“, so der Geschäftsführer. Stimmt. Keine Frauen in Sicht. „Der Beruf ist momentan noch eine ziemliche Männerdomäne, aber es gibt immer mehr Barbergirls“, weiß Oguzhan Dertlioglu.


Alle wollen zu Aras

Seit sieben Jahren ist er bekannt als „der Aras aus Baden-Baden“. Gemeinsam mit Kollegin Sonya Abgül hat Aras Darwisch im Mai den Barbershop „Soara“ in der Lichtentaler Straße eröffnet. Dass es bei den Bärten nicht klischeehaft um Elvis, Tatoos und Rockabilly gehen muss, beweisen die beiden mit einem ganz eleganten Style. In Grau, Schwarz und Weiß kommt der Salon (mit Friseur- und Kosmetikabteilung) extrem edel und supermodern daher. In der Mitte steht ein riesiger runder Spiegel – für den Vorher/Nachher- Effekt in mondäner Größe. Eine schwarze Backsteinwand, darauf der zarte Schriftzug „Soara“, die Mitarbeiter alle in Schwarz. „Die Leute achten heute mehr auf den Bart als auf die Frisur“, ist die Erfahrung des Iraners Darwisch, der seit elf Jahren in Deutschland ist.

Mit Friseurin Sonya Abgül und Friseurmeisterin Shirin Bulut rockt er den eleganten Laden. Aras Darwisch macht die Bärte. In seinem Haar glänzt das Wachs wie schwarzes Rabengefieder. „Die Rapper haben es vor einigen Jahren vorgemacht. Da sind dann alle aufgesprungen. Aber der Bart hat das Rapper-Image schnell verlassen und wird heute von vielen getragen – in allen Schichten und Be- rufen.“

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Wird der Bart bald Geschichte sein und der Trend abebben? „Ganz sicher nicht“, ist Darwisch überzeugt. „Der Bart ist schließlich fast der einzige Gesichtsschmuck des Mannes. Er wird immer ein Thema bleiben. Nur die Trends verändern sich natürlich.“ Und wohin geht der Trend? „Ich denke, die Bärte werden wieder etwas kürzer, dafür werden die Haare wieder länger.“

Die drei haben das uralte orientalische Handwerk modern und ästhetisch in die Gegenwart übersetzt. Zusammen mit einem Innenraumdesigner haben sie den Laden selbst umgebaut. Beim Haarewaschen gibt es eine Rückenmassage gratis. Im Innern des supermodernen schwarzen Sessels rücken Massagekugeln Verspannungen zuleibe. „Man muss heute einfach etwas mehr bieten als das eigentliche Handwerk, um sich abzuheben“, sagt Sonya. Bartöl und Bartshampoo fließen bei „Soara“ übrigens nicht aus Whiskey-, sondern aus eleganten Bierflaschen.

Das Barber-Handwerk hat Hochkonjunktur auch bei Aras Darwisch im Shop „Soara“ in Baden-Baden.

Das Motto: „Der Bart bleibt dran!“

Ariane Lindemann