Turnen – Grundschule des Sports

Im Turnen sind heute Übungen möglich, die vor Jahrzehnten noch undenkbar schienen.

Bei der Kunstturn Region Karlsruhe (KRK) schwingt der Boden – und zwar für jeden gleich, ob Olympiateilnehmer oder Kindergartenkind. Der Dachverein bildet in der Region das Zentrum eines Traditionssports, der nach wie vor „in“ ist. Auch Olympiasieger Fabian Hambüchen war jahrelang für den KTV Straubenhardt ein Aushängeschild des Turnens im Gebiet der Handwerkskammer Karlsruhe.

Wer in die rund 800 Qudratmeter große Halle der Kunstturn Region Karlsruhe (KRK) kommt, weiß sogleich: Hier fließt Schweiß. „Sie können noch so viel lüften“, sagt KRK-Vorstand Alex Bachmayer. „Diesen Geruch kriegen Sie nie ganz weg. Aber man gewöhnt sich daran, er gehört einfach dazu.“ Und auch eine Besonderheit des Rudi-Seiter-Turnzentrums in der Karlsruher Waldstadt fällt unmittelbar ins Auge: Der Boden ist um einige Zentimeter erhöht. „Darunter sind spezielle Stahlfedern angebracht“, erläutert Bachmayer. Zudem sind in dem 35.000 Euro teuren Boden-System Öffnungen eingelassen, sodass die Luft entweichen kann. Daher schwingt der Boden und federt die oft extremen Körperbwegungen ab. „Solche Böden sind seit einigen Jahren bei Wettkämpfen Vorschrift“, sagt der KRK-Vorstand. „Das Schwingen ist insbesondere bei den Landungen wichtig. Und so können die Kunstturnerinnen und -turner heute besonders komplizierte Sprünge ausführen, die früher undenkbar schienen.“ So zum Beispiel einen Tsukahara – einen Doppelsalto rückwärts mit integrierter ganzer Längsachsendrehung. Wie professionell die Bedingungen in dem Turnzentrum sind, zeigt sich unter anderem daran, dass sich der bekannteste deutsche Kunstturner, Fabian Hambüchen, schon mal in der Halle fit hält, wenn er gerade in der Gegend ist.

Das Frauen-Bundesligateam TG Karlsruhe-Söllingen zählt zu den besten in Deutschland.

Das Bodenschwingen ist aber nicht allein für Spitzensportler reserviert. Der Boden schwingt vielmehr für jeden, der bei der KRK trainiert – dabei könnten die Ziele kaum unterschiedlicher sein: Die einen haben einfach Spaß an der Bewegung und lernen überhaupt erst die Koordinationsfähigkeiten ihres Körpers kennen. Andere sind schon mit dem Aufstieg in die Bezirksliga zufrieden, wohingegen einige wenige sogar Olympia im Blick haben. Für alle diese verschiedenen Gruppen die bestmöglichen Bedingungen zu bieten, ist ein Kennzeichen der KRK. „Und dass unser Ansatz funktioniert, zeigt in der Spitze, dass drei unserer Turnerinnen zum engeren Kandidaten-Kreis für die olympischen Sommerspielen gehörten und es Pauline Tratz dann auch nach Rio geschafft hat“, erklärt Bachmayer. „Dabei sind wir nicht mal Olympiastützpunkt.“

Und auf der anderen Seite gibt es immer mehr Kinder, die in der Gruppe „Zicke-Zacke“ für Vier- bis Sechsjährige mitmachen wollen. „Da gehen wir es ganz spielerisch an, im ersten Jahr turnen wir noch gar nicht richtig mit ihnen", so Bachmayer. „Viele denken immer, im Turnen werden die Kinder gleich zum Spagat gezwungen. Aber so ist das bei uns nicht.“ Turnen gehört zu den ältesten Sportarten, bereits 1811 schuf Friedrich Ludwig Jahn, besser bekannt als „Turnvater Jahn“, den ersten Turnplatz in Berlin. Auch in der Region Karlsruhe gibt es Turnvereine mit einer mehr als hundertjährigen Geschichte. Doch wer interessiert sich heute noch für die klassischen Übungen an Geräten wie Reck und Stufenbarren, wenn es doch in jeder Kleinstadt etliche Fitnesstudios und überhaupt eine ganze Masse an Freizeitangeboten gibt. „Viele“, sagt Bachmayer. „Nach dem DFB ist der Deutsche Turnerbund mit mehr als fünf Millionen Mitgliedern der zweitgrößte Sportverband in Deutschland. Insbesondere bei Mädchen boomt das Turnen.“ Das heutige Zentrum für Turnbegeisterte in und um Karlsruhe ist die KRK. Sie ist ein Dachverein für mehr als 25 Sportvereine mit rund 60.000 Mitgliedern aus der Region.
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1992 wurde sie aus der Taufe gehoben, bald also begeht sie ihr 25-jähriges Jubiläum. So richtig aufwärts geht es mit dem Verein seit etwa einem Jahrzehnt – zu den vielen Erfolgen seither zählen beispielsweise drei deutsche Vizemeisterschaften mit seinem Frauen-Bundesligateam TG Karlsruhe-Söllingen, das 2002 noch in der Landesliga startete und sich mit vielen „Eigengewächsen“ kontinuierlich bis in die Spitze der höchsten deutschen Liga gekämpft hat. Ein weiterer Beleg für den Stellenwert des Vereins: Insgesamt viermal richtete die KRK in den vergangenen Jahren das Finale der Deutschen Turnliga (DTL) aus – mit mehr als 4.000 Zuschauern erst in der Europahalle, dann in der dm- Arena. „Mit unseren vier festangestellten Trainern und zehn Trainern auf Honorarbasis haben wir offensichtlich eine sehr gute Basis gefunden“, erklärt Bachmayer, um aber gleich darauf zu betonen: „Sportlicher Erfolg hat immer auch etwas mit Glück zu tun.“

Auch Fabian Hambüchen, der bei den Olympischen Spielen in Rio Gold am Reck gewonnen und damit seine Karriere gekrönt hat, trainiert regelmäßig bei der KRK. Hambüchen trat zudem jahrelang für den KTV Straubenhardt aus dem Enzkreis an. Der KTV Straubenhardt ist neben der Kunsttrurn Region Karlsruhe (KRK) der zweite Verein aus dem Kammerbezirk der Handwerkskammer Karlsruhe, der im deutschen Spitzenturnen mitmischt. 2005, 2009, 2011 und 2015 war das Bundesligateam der KTV sogar Deutscher Mannschaftsmeister bei den Männern. Mit Andreas Bretschneider, Lukas Dauser, Marcel Nguyen (Turnteam Deutschland), Anton Fokin (Usbekistan) und Filip Ude (Kroatien) waren fünf Athleten aus dem Bundesligateam bei den Olympischen Sommerspielen 2016 am Start.

Gerade auch deshalb ist ihm nicht nur der Spitzensport ein Anliegen – besonders in der heutigen Zeit. „Sie müssen bedenken, die Jugend klettert nicht mehr auf Bäume und verbringt sehr viel Zeit vor dem Computer.“ Da Turnen nicht nur die Körperbeherrschung besonders fördere, sondern auch Faktoren wie Disziplin und Durchhaltewillen, sei es so etwas wie die „Grundschule des Sports“ – sprich, wer turnt, hat oft auch Talent in anderen Sportarten. „Wenn wir merken, dass sich einer unserer Schützlinge besser für Karate oder Schwimmen eignet, ebnen wir den Weg zu anderen Vereinen.“ An die 170 Kinder trainieren derzeit bei der KRK. Geht es nach Bachmayer, könnten es in einigen Jahren auch 500 sein. Doch dafür müsste der Verein seine wirtschaftliche Basis verbreitern. Derzeit ruht er als Leistungszentrum Karlsruhe-Söllingen für das weibliche Kunstturnen, als Stützpunkt des Badischen Turner Bundes und als Nachwuchszentrum der Stadt Karlsruhe sowie mit Mitgliedsbeiträgen und Sponsorengeldern solide auf mehreren Säulen. Doch gerade von Unternehmen aus der Region würde sich Bachmayer gerne ein stärkeres Engagement wünschen: „Heutzutage ist jeder Sport neben dem Fußball eine Randsportart, aber stellen Sie sich vor: 100 Unternehmen geben jeweils 1.000 Euro, was wir damit auf die Beine stellen könnten. Im Gegenzug turnt beispielsweise Pauline Tratz auf der Firmenfeier, das wäre doch ein Spitzenevent.“ Und so könnte es dann auch gut möglich sein, dass im Rudi-Seiter-Turnzentrum der KRK in Zukunft der Schweiß noch mehr fließen wird.

www.krkarlsruhe.de

Christoph Ertz