„Ich bin ein begeisterter Handwerker“

Gespräch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann über die Digitalisierung, schnelle Internetverbindungen, Fachkräftemangel und sein Hobby Schreinern

Die Digitalisierung der Arbeitswelt entwickelt sich immer schneller: Wie kann das Land auch kleinere Betriebe unterstützen?
Winfried Kretschmann: Durch die Digitalisierung verändern sich die Abläufe in den Betrieben. Und auch die Aufgabenvielfalt und die Verantwortung für den einzelnen Arbeitnehmer werden größer, die Anforderungen an die Arbeitskräfte steigen. Damit auch kleinere Betriebe die Chancen der Digitalisierung nutzen können, verfolgt die Landesregierung eine umfassende Strategie. Einerseits sorgen wir für gute Rahmenbedingungen, etwa durch den Ausbau der anwendungsbezogenen Forschung und des Technologietransfers oder durch die Vorbereitung von Fachkräften auf die Herausforderungen der digitalen Welt. Andererseits unterstützen wir Betriebe auch ganz konkret – zum Beispiel mit individueller Beratung zur Digitalisierung. So genannte Digitalisierungslotsen gehen in die Firmen hinein und optimieren gemeinsam mit der Belegschaft die Abläufe. 15 digitale Lernfabriken an den Berufsschulen machen außerdem die Auszubildenden für die „Industrie 4.0“ fit. Und natürlich treiben wir den Ausbau des Glasfasernetzes im ganzen Land zügig voran.

Sie haben die Digitalisierung ja auch im Koalitionsvertrag festgehalten, wie kann „Wirtschaft 4.0“ noch besser in die Betriebe getragen werden?
Winfried Kretschmann: Damit kleine und mittlere Unternehmen noch besser von neuen Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung profitieren können, wollen wir in dieser Legislaturperiode einen Schwerpunkt auf den Ausbau des Technologietransfers legen. Er soll einfach allen Branchen noch mehr zu Gute kommen. Dafür wollen wir aber keine ganz neuen Strukturen schaffen, sondern die bestehenden verbessern – zum Beispiel die Arbeit unserer Landesagenturen noch besser für die Betriebe nutzen. Für die Unternehmen soll gut sichtbar sein, mit welcher Frage sie sich an welche Landeseinrichtung wenden können, damit sie schnelle Unterstützung erhalten.

Wie wird sich schnelles Internet auch im ländlichen Raum schneller aufbauen lassen?
Winfried Kretschmann: Leistungsfähige Breitbandnetze sind für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes natürlich ein ganz zentraler Standortfaktor. Das gilt für große Konzerne ebenso wie für den Mittelstand und das Handwerk. Deshalb unterstützt die Landesregierung die Kommunen beim Bau von Glasfasernetzen dort, wo etwa der Markt versagt, wo es sich für Telekommunikationsunternehmen wirtschaftlich schlicht nicht lohnt zu investieren – und dies ist im ländlichen Raum oft der Fall. Einen besonderen Schwerpunkt setzen wir dabei auf den Anschluss des Gewerbes. Wir fördern die Kommunen bei der Anbindung von Gewerbegebieten an das Glasfasernetz mit bis zu 90 Prozent. Bis 2018 stehen uns rund 250 Millionen Euro für den Breitbandausbau zur Verfügung. Diese Anstrengungen zeigen ja jetzt schon Wirkung: Inzwischen sind über drei Viertel der Landkreise in die Breitband-Planung eingestiegen.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann entspannt beim Schweißen und beim Schreinern.

Welche Bedeutung insgesamt hat das Handwerk für den Erfolg des Landes Baden-Württemberg?
Winfried Kretschmann: Das Handwerk ist in Baden-Württemberg einfach das Herz des Mittelstandes. Es hat für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes eine herausragende Bedeutung! Als größter Arbeitgeber hat es einen hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellenwert. Das Handwerk umfasst ja Produzenten, Zulieferer, Dienstleister und Nahversorger – und ist damit unverzichtbar für die Bürgerinnen und Bürger, die in ihrem unmittelbaren Lebensbereich auf schnelle und zuverlässige handwerkliche Leistungen an- gewiesen sind. Gleichzeitig ist das Handwerk oft enger Partner von Industrieunternehmen und des Dienstleistungsgewerbes, etwa als Zulieferer, als Ausführender von Bau- und Ausbaumaßahmen oder als Servicepartner. Ein starkes Handwerk ist also immer die Basis für eine starke und erfolgreiche Wirtschaft.

Was können Land und Unternehmen dem Fachkräftemangel entgegen setzen?
Winfried Kretschmann: In der „Allianz für Fachkräfte“ und im „Bündnis zur Stärkung der beruflichen Ausbildung und des Fachkräftenachwuchses“ haben wir die wichtigen Akteure ja schon an einen Tisch gebracht. Auch das Handwerk ist bei diesen Initiativen dabei. Diese Partnerschaften wollen wir jetzt noch stärker nutzen und am aktuellen Bedarf ausrichten. Die Landesregierung möchte auch die duale Berufsausbildung und die hervorragenden Berufschancen dieser Ausbildung deutlich herausheben. Leistungsschwächeren Jugendlichen soll passgenaue Unterstützung angeboten werden. Man sagt ja, das Handwerk habe goldenen Boden – und dies wollen wir gemeinsam mit den Handwerksunternehmen mehr ins Bewusstsein der Menschen rücken.

Welche Rolle spielen dabei Flüchtlinge?
Winfried Kretschmann: Der demografische Wandel zeigt uns, dass die Menschen älter werden und die Bevölkerungszahl insgesamt sinkt. Flüchtlinge sind also auch eine Chance, den demographischen Wandel abzufedern, die Rente zu stabilisieren, den Fachkräftemangel zu mildern und die Wirtschaft leistungsstark zu halten. Umgekehrt ist Arbeit aber auch ein echter Integrationsmotor: Sie ist ein Schüssel für soziale Kontakte, für die Wertschätzung in der Gesellschaft und wichtig für das Selbstwertgefühl der Zuwandererinnen und Zuwanderer. Deshalb habe ich mich bereits erfolgreich dafür eingesetzt, dass das absolute Beschäftigungsverbot deutlich gelockert und eine Möglichkeit für die legale Arbeitsmigration aus dem Westbalkan geschaffen wurde. Klar ist aber auch, dass viele Flüchtlinge nicht die Anforderungen des deutschen Arbeitsmarkts erfüllen. Doch die meisten sind hochmotiviert!

Darum gilt es jetzt, genügend Angebote für ihre Qualifikation zu schaffen. Wir haben dafür Maßnahmen ergriffen und Projekte gestartet, wie beispielweise das Landesprogramm „Chancen gestalten – Wege der Integration in den Arbeitsmarkt öffnen“. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse, die natürlich eine Grundvoraussetzung für den Schritt in den hiesigen Arbeitsmarkt sind. Auch in Zukunft werden wir an diesen Plänen festhalten – aber auch ganz neue Impulse setzen. Zum Beispiel planen wir mit der Wirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit ein gemeinsames Programm zur beruflichen Integration und Nachqualifikation von Flüchtlingen.

Wie schätzen Sie die Bedeutung des Wirtschaftsraums Technologieregion Karlsruhe ein?
Winfried Kretschmann: Die Technologieregion Karlsruhe ist eine der innovativsten und dynamischsten Technologieregionen in Deutschland. Sie liegt im Herzen Europas und gehört technologisch, wirtschaftlich und kulturell einfach zur europäischen Spitzenklasse. Von 1.000 Erwerbstätigen arbeitet hier rund ein Drittel in technologieintensiven Branchen – so viele wie in kaum einer anderen Region Europas. Im Wettbewerb mit den wichtigsten Wirtschaftsstandorten in Deutschland, Europa und den USA steht die Technologieregion Karlsruhe immer auf den vorderen Plätzen. Forschungseinrichtungen und Unternehmen von hier sind ja auch ganz maßgeblich an Europas größtem Software-Cluster beteiligt. Mit ihren Schwerpunkten Informationstechnologien, Automotive, Nano- und Mikrosysteme, Energie, Klima- und Umwelt, neue Werkstoffe oder Produktionstechnologien ist die Region gut aufgestellt und bestens für die Zukunft gerüstet.

Ihre persönlichen handwerklichen Fähigkeiten waren ja unlängst in einem Film zu sehen. Kommen Sie überhaupt zeitlich dazu, Ihre Werkstatt zu nutzen?
Winfried Kretschmann: Ich bin ein begeisterter Heimwerker! Baumärkte sind so ziemlich die einzigen Geschäfte, in denen ich mich wirklich gern aufhalte – sehr zum Amüsement meiner Frau. Holzarbeiten, Schweißen oder auch Mauern machen mir großen Spaß. Allerdings macht mir mein Terminkalender tatsächlich häufig einen Strich durch die Rechnung, wenn es um die Ausübung dieses Hobbys geht.

Und was macht Ihnen Freude beim Schreinern und Heimwerken?
Winfried Kretschmann: Wenn ich zum Beispiel etwas in meinem alten Bauernhaus repariere, dann befreit das auch meinen Kopf. Ich kann bei solchen Arbeiten sehr gut abschalten, nach 20 Minuten Tüfteln bin ich schon sehr viel entspannter.

Schenken Sie uns eine Lebensweisheit?
Winfried Kretschmann: Lebensweisheiten aus dem Poesiealbum haben mir nie viel bedeutet. Mein politisches Denken wurde aber sehr geprägt von den Schriften Hannah Arendts. Arendt schrieb, es gäbe keine Freiheit ohne Verantwortung. Dies ist schon ein sehr weiser Satz.

Das Gespräch führte Horst Koppelstätter