Mit "Giulia" in den Untergrund

Die "Kombilösung" - Karlsruhes großes Infrastrukturprojekt

von Christoph Ertz

Die Kombilösung zur Weiterentwicklung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs in Karlsruhe ist in aller Munde – besonders seit sich die Tunnelbohrmaschine „Giulia“ durch den Untergrund gräbt. Gebaut hat sie ein Unternehmen aus Baden – die Herrenknecht AG aus Schwanau. Gegründet von Martin Herrenknecht ist das Unternehmen aus bescheidenen Anfängen zum Weltmarktführer aufgestiegen.

„Alles verschwindet dort drüben in einem Riesenloch“, erklärt ein Mitarbeiter in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Baustellenlogistik“ einem neugierigen Passanten. Mit einem Arm deutet er in Richtung Innenstadt – doch das Riesenloch an der Kreuzung „Durlacher Tor“ in Karlsruhe ist von der Straße aus nicht einmal zu erahnen. Die Sicht auf das umzäunte Baufeld wird eingenommen von riesigen Silos, Kabel- und Rohrleitungen, Baufahrzeugen sowie unzähligen leicht gekrümmten Bauteilen aus Stahlbeton. Es handelt sich um so genannte Tübbinge. Ein Kran wie in einem Containerhafen ist nötig, um sie zu bewegen. Zusammengesetzt zu einem Ring ergeben sie nach und nach die rund zwei Kilometer lange Tunnelröhre, durch die in einigen Jahren die Karlsruher Stadtbahn unter der zentralen Kaiserstraße fahren wird.

 Das Schneidrad der Tunnelvortriebsmaschine „Giulia“ in den badischen Farben Rot-Gelb-Rot.

Sissi, Heidi und Gabi 1 und 2
Martin Herrenknecht hat das Unternehmen 1975 gegründet. Beim Bau des Gotthard-Tunnels machte es weltweite Schlagzeilen.
Es war am 15. Oktober 2010: Sissi schaffte damals den Durchbruch, aber auch Heidi, Gabi 1 und Gabi 2 leisteten wertvolle Arbeit. Damit war eine wichtige Etappe bei einem Jahrhundertbauwerk in der Schweiz erreicht: Der Gotthard-Tunnel wird nach seiner Fertigstellung und Inbetriebnahme 2016 mit 57 Kilometern der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Durch zwei Röhren rollt dann der meiste Güterverkehr durch die Schweizer Alpen. Mit täglich bis zu 300 Zügen wird gerechnet. „Der Gotthard-Tunnel war die Königsklasse“, erinnert sich Martin Herrenknecht. Trotz aller Vorerkundungen seien immer wieder unvorhergesehene Schwierigkeiten aufgetaucht, so beispielsweise 

gleich zu Beginn, als nach nur 200 Metern der Vortrieb der Maschinen durch brüchiges Gestein etwas ausgebremst wurde. Das sei der „Nervenkitzel des Tunnelbauers“, beschreibt er. Der 1942 geborene Unternehmer hat in seinem südbadischen Geburtsort Schwanau einen Weltmarktführer aufgebaut.

   

„Made in Baden“

Heute erinnern die Tunnelbohrmaschinen der Herrenknecht AG vom Aussehen her an Weltraum-Transporter „Made in Hollywood“. Sie bohren sich durch jeden denkbaren Untergrund, egal ob hart, weich, trocken oder wasserführend. Jede Maschine ist eine Einzelanfertigung, speziell auf den jeweiligen Untergrund ausgerichtet. Auch Entfernungen können die Bohrer und ihren Entwickler nicht schrecken. Martin Herrenknecht hält selbst einen Tunnel von mehr als 100 Kilometern Länge zwischen Asien und Amerika unter der Beringstraße bautechnisch grundsätzlich für machbar.
Der badische Tüftler hat das Tunnelbohren entscheidend vorangebracht. Sein Studium hatte er mit 21 abgeschlossen, um zunächst sieben Jahre als Konstruktionsingenieur in der Schweiz und in Kanada Erfahrung zu sammeln. 1975 machte er sich selbstständig.
 Martin Herrenknecht hat das Unternehmen 1975 gegründet. Beim Bau des Gotthard-Tunnels machte es weltweite Schlagzeilen.

Eine Idee im Kopf
Die Mutter steuerte das Startkapital von mehr als 20.000 Mark bei, der Vater, ein Polsterer mit rund einem Dutzend Mitarbeitern, zahlte die Miete für ein kleines Apartment – so ging es los, im Kopf eine Idee. Beim Tunnelbau wurde und wird traditionell viel gesprengt, was aber risikoreich und langwierig sein kann. Herrenknechts Alternative: Ohne Sprengen den Boden mechanisch abtragen. Dafür sind Herrenknechts Maschinen-Maulwürfe an der Spitze meist mit einem sich drehenden Schneidrad ausgestattet, das sich in und durch den Boden fräst. Durch das Gotthardmassiv fraßen sich vier jeweils über 400 Meter lange und rund 2.700 Tonnen schwere Tunnelbohrmaschinen – mit den Namen „Sissi“, „Heidi“, „Gabi 1“ sowie „Gabi 2“. Bis zu rund 17 Meter Durchmesser haben die Bohrköpfe – sie sind immer so groß wie die Tunnel, die sie bohren sollen.

Wo immer daher irgendwo Tunnel durch welchen Untergrund auch immer getrieben werden sollen, ist Herrenknecht sehr wahrscheinlich mit von der Partie.

Im Hartgestein sorgen Druckzylinder dafür, dass diese Bohrköpfe einen gewaltigen Anpressdruck entfalten. Schneiderollen brechen dann das Gestein in handtellergroßen Stücken aus der Wand. Der Herrenknecht-Konzern liefert aber nicht nur die Maschinen fürs Bohren, sondern unter anderem auch Förderbänder, um das Gestein abzutransportieren, und sorgt somit für eine Rundumversorgung tief unter der Erde. Wo immer daher irgendwo Tunnel durch welchen Untergrund auch immer getrieben werden sollen, ist Herrenknecht sehr wahrscheinlich mit von der Partie. So hat das Unternehmen unlängst beispielsweise für den stadtübergreifenden Neubau von vier Metrolinien in Doha 21 Tunnelvortriebsmaschinen für insgesamt mehr als 100 Kilometer Tunnel nach Katar geliefert. Auch für Metro-Projekte von Moskau und Kuala Lumpur bis Rio und Sao Paulo waren und sind Herrenknechts Maschinen im Untergrund unterwegs. Überall stellen sie Verbindungen her, wo sich der Mensch jahrtausendelang gar keine Verbindung vorstellen konnte. In Summe haben sich die Herrenknecht-Bohrer bereits bei über 2.600 Tunnelprojekten durch den Boden gewühlt.

 5.000 Mitarbeiter arbeiten am Hauptsitz in Schwanau und in weltweiten Tochterunternehmen.

Hidden Champion aus Schwanau
Und für ihren Chef dürfte es wohl kaum noch ein Land geben, in das er noch nicht gereist ist, um seine Maschinen vorzustellen, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen sowie die Arbeiten zu leiten. Sein einst quasi als Garagenfirma angetretenes Unternehmen beschäftigt heute rund 5.000 Mitarbeiter am Hauptsitz in Schwanau und in weltweiten Tochterunternehmen. Herrenknecht gehört damit zu den etwa 1.300 „Hidden Champions“ aus Deutschland – mittelständischen Unternehmen also, die erfolgreich Nischen behaupten und Weltmarktführer sind. In einem Ranking des Magazins „Wirtschaftswoche“ wurden die Tunnelbohrer bereits wiederholt als wertvollste Marke unter diesen heimlichen Helden der Wirtschaft gewertet.

Der Herr der Tunnel – den der frühere baden-württembergische Ministerpräsident und ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende des Herrenknecht-Konzerns, Lothar Späth, als „Alphatier mit starker Gefühlswelt“ charakterisiert, hat bei allen weltweiten Erfolgen nie die Bodenhaftung verloren. Die Region Südbaden ist sein Lebensmittelpunkt geblieben – und dafür engagiert er sich vielfältig und grenzüberschreitend entlang des Oberrheins. Herrenknecht unterstützt etwa Bildungseinrichtungen von Karlsruhe und Offenburg über Straßburg bis nach Basel.

 Zehn Meter kommt die Tunnelbohrmaschine pro Tag ihrem Ziel am Mühlburger Tor näher.

"Giulias" Zukunft
In Karlsruhe kommt Giulia unterdessen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn Metern pro Tag ihrem Ziel am Mühlburger Tor immer näher. Bereits im Herbst 2015 wird sie dort wieder durch ein Riesenloch in der Erde und in Einzelteile zerlegt zu Tage kommen, nachdem sie ihr Werk in der Fächerstadt vollbracht hat. Aber was passiert dann mit ihr? „Dann wird sie nach und nach wieder zurück zu Herrenknecht transportiert“, erklärt eine Mitarbeiterin im Infopavillon „K.“ für die Kombilösung. „Die Teile, die wiederverwertbar sind, werden dann wieder für andere Maschinen genutzt.“ Und wo auch immer auf der Welt und egal für welches Projekt diese Maschinen mit den Giulia-Teilen dann im Einsatz sind, sie werden kolossale Ausmaße haben, Aufsehen erregen, stetig vorankommen – und ganz sicher wieder Frauennamen tragen.

Info

Seit 2010 präsentiert der Infopavillon „K.“ am Ettlinger Tor viele Informationen
zu Karlsruhes großem Infrastrukturprojekt unter anderem in einer multimedialen
Ausstellung.

Der Infopavillon und das dazugehörige Bistro haben Montag bis Samstag jeweils
von 10 bis 24 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 12 bis 24 Uhr geöffnet.
Für weiterführende Fragen steht von Montag bis Samstag zwischen 11und 19 Uhr
ein persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung.

www.herrenknecht.com
www.diekombiloesung.de