Mein Motto: Nie aufgeben

Interview mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Martin Schulz

REPORT sprach mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, über die europäische Idee, die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks und die Chancen der Technologieregion Karlsruhe

das Interview führte Horst Koppelstätter

Martin Schulz (Jahrgang 1955) ist seit Januar 2012 Präsident des Europäischen Parlaments. Nach seinem Schulabschluss entschloss er sich, seine Leidenschaft für Bücher zum Beruf zu machen und absolvierte eine Lehre als Buchhändler. Nach einigen Jahren im Verlagswesen gründete er 1982 seinen eigenen Buchladen in Würselen. Mit 19 Jahren trat er der SPD bei und arbeitete zunächst bei den Jusos mit. Mit 31 Jahren wurde er schließlich zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen gewählt. Er war damals der jüngste Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen. Elf Jahre arbeitete er als Bürgermeister der Stadt. „Diese Zeit hat meine Begeisterung für Europa geprägt und mich in meiner Überzeugung bestärkt, das „Projekt Europa“ mitzugestalten und weiter zu bringen“, sagt Schulz über die Jahre als Lokalpolitiker.
Seit 1994 ist Martin Schulz Mitglied des EU-Parlaments. Zur Jahrtausendwende wurde er zum Vorsitzenden der deutschen EU-Abgeordneten der SPD und zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der europäischen Sozialdemokraten im EU-Parlament gewählt. REPORT sprach mit Martin Schulz.

Warum ist die europäische Idee ohne Alternativen?

Martin Schulz: Keine Idee ist alternativlos. Auch zum europäischen Projekt gibt es Alternativen. Die europäische Einigung hat keine Ewigkeitsgarantie. Aber diejenigen, die eine Alternative fordern, müssen diese auch klar benennen. Die Alternative zur europäischen Idee wäre weniger Zusammenarbeit, weniger Wohlstand, weniger Sicherheit. Wir müssen all jenen, die Europa abwickeln wollen, entgegenhalten, dass ihr Weg verheerend wäre für die Menschen. Denn wenn wir nicht zusammenhalten und nicht gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme finden, dann driften wir in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit ab und büßen unsere Handlungsfähigkeit, unser Gesellschaftsmodell und unsere Demokratie ein. Wer das will, soll es den Menschen offen sagen.

Welche Rolle spielt das Handwerk für die europäische Wirtschaft?

Schulz: Das Handwerk spielt in Europa eine herausragende Rolle. Handwerksunternehmen stellen der lokalen Gemeinschaft wichtige Produkte und Dienstleistungen direkt vor Ort zur Verfügung. Das ist gerade in ländlichen Regionen essentiell. Und vor allen Dingen schaffen sie auch Arbeitsplätze. 99 Prozent aller Unternehmen in der EU sind kleine und mittlere Unternehmen, von denen wiederum 90 Prozent weniger als zehn Beschäftigte haben. Diese Kleinstunternehmen – davon viele handwerkliche Betriebe – haben einen Anteil von 53 Prozent aller Arbeitsplätze in Europa, ihre Bedeutung für die europäische Wirtschaft ist also enorm.

   


Wie stark wird die Digitalisierung unsere Gesellschaft verändern?

Schulz: Die Digitalisierung hat unsere Gesellschaft bereits stark verändert und wird das auch in Zukunft weiter tun. Es liegt an uns, die richtigen Weichen zu stellen, damit die Veränderungen positiv ausfallen. Die Enthüllungen Edward Snowdens über die Überwachungspraktiken der NSA und die Anschuldigen an den BND haben uns die Missbrauchsmöglichkeiten der neuen Technologien gezeigt. Hier brauchen wir dringend politische Antworten, die den Schutz der Bürger garantieren. Aber die neuen Technologien bieten auch große Chancen, sowohl wirtschaftlich als auch für jeden Einzelnen. Deshalb hat das Europäische Parlament beschlossen, mehr in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien zu investieren und einen digitalen Binnenmarkt in Europa zu schaffen. So wollen wir sicherstellen, dass sich das volle Potenzial der Digitalisierung entfalten kann und wir langfristig mit asiatischen und US-amerikanischen Technologieunternehmen konkurrieren können.

   


Wo sehen Sie Europa in 20 Jahren?

Schulz: Ich wünsche mir ein starkes und selbstbewusstes Europa, basierend auf unseren gemeinsamen Werten, das mit einer Stimme spricht und politisches und wirtschaftliches Gewicht in der Welt hat. Um das zu erreichen, müssen wir zunächst einmal das in der Krise verlorene Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückgewinnen. Dazu müssen wir zum einen die EU weiter demokratisieren. Die Europawahl im Mai 2014, bei dem zum ersten Mal Spitzenkandidaten angetreten sind und der Kommissionspräsident direkt vom Parlament gewählt wurde, war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Zum anderen muss die EU aufhören, sich in Dinge einzumischen, die sie besser anderen überlassen sollte, weil sie es besser können. Was lokal, regional oder national geregelt werden kann, soll auch dort entschieden werden. Europa muss sich auf die großen Fragen konzentrieren, etwa auf die weltweiten Handelsbeziehungen, den Kampf gegen Spekulation und Steuerflucht, den Klimawandel, auf Migrationsfragen oder auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kri- minalität.

   


Wie schätzen Sie die Zukunftschancen von einzelnen europäischen Regionen wie der Technologieregion Karlsruhe ein?

Schulz: Die Technologieregion Karlsruhe hat hervorragende Zukunftschancen, wenn sie es auch weiterhin schafft, effektiv Ressourcen zu bündeln, um gemeinsam Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Verwaltung voranzubringen. Gerade in Zeiten klammer Kassen in den Kommunen ist es schlau, wichtige Projekte gemeinsam anzugehen. Mit ihren mehr als einer Million Einwohnern und einer starken Infrastruktur erfüllt die Region alle Voraussetzungen, auch in Zukunft wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Technologieregion Karlsruhe kann durch die Kooperation auch ein Vorbild für andere Regionen Europas sein.

   


Was verbinden Sie mit dem Südwesten Deutschlands und speziell mit Karlsruhe?

Schulz: Ich kenne den Südwesten Deutschlands und Karlsruhe sehr gut und schätze die offene und freundliche Art der Menschen. Jeden Monat, wenn das Parlament in Straßburg die Plenarsitzung abhält, wohne ich auf der deutschen Seite der Grenze, nicht weit weg von Karlsruhe. Wenn es die Zeit erlaubt, besuche ich diese schöne Stadt sehr gerne. Und ich mag die Küche der Region, vor allem Maultaschen haben es mir angetan.

   


Sind Sie selbst handwerklich begabt?

Schulz: Kleinere Handgriffe bekomme ich schon hin, aber meine Ta-lente liegen klar in anderen Bereichen. Deshalb bin ich froh, dass es viele gute Handwerksbetriebe gibt, die ich im Notfall anrufen kann, und die mir dann schnell und kompetent helfen.

   


Schenken Sie uns bitte eine Lebensweisheit.

Schulz: „Nie aufgeben“. Das klingt banal, ist aber in vielen Situationen entscheidend. Die Überlegung, es gibt keine Chance mehr, ist falsch. Es gibt immer eine Möglichkeit, wieder aufzustehen und weiterzukämpfen.