Ein Stück Karlsruhe im Weltall

Alexander Gerst forschte ein halbes Jahr im All und umrundete 2.500 Mal die Erde | Von der Raumstation ISS schickte der Astronaut eine Videobotschaft in die Fächerstadt

von Ute Bauermeister

  

"So einer wäre im 18. oder 19. Jahrhundert ein Entdeckungsreisender geworden ..."

Von der Raumstation ISS schickte Alexander Gerst einen Videogruß nach Karlsruhe ans KIT – mehr als 34.000 Mal wurde dieser auf Facebook angeklickt und freudig kommentiert: „Cool, dass Du das KIT im All vertrittst.“ Gerst hat am Geophysikalischen Institut des KIT seine Diplomarbeit geschrieben. „Karlsruhe war der Start meiner wissenschaftlichen Karriere. Es war eine großartige Zeit, an die ich noch oft denke“, erinnert sich der dritte Deutsche im All. Sein damaliger Betreuer am KIT, Professor Friedemann Wenzel, kommentiert: „Als ich das Gutachten zu seiner exzellenten Arbeit schrieb, dachte ich: So einer wäre im 18. oder 19. Jahrhundert ein Entdeckungsreisender geworden und hätte die unbekannten Weiten der Erde erforscht. In moderner Form macht er das ja heute.“

Vier Jahre hartes Trainung

Ein halbes Jahr lebte der Astronaut 2014 in der Raumstation ISS, an 166 Tagen hat er insgesamt etwa 2.500 Mal die Erde umrundet und täglich 16 Mal die Sonne aufgehen sehen. Vier Jahre hartes Training unter anderem mit bei minus 30 Grad Campen, Russisch lernen und jede Menge Tests musste Gerst absolvieren, bevor er sich für diese Mission qualifizierte. Das Jahr vor seinem Abflug bestand zu 70 Prozent aus Notfalltraining. Die erste Hürde nahm Alexander Gerst jedoch bereits 2009, als er sich gegen 8.407 Bewerber bei der ESA durchsetzte und eine Ausbildung als Astronaut beginnen durfte.

"Ich wollte unbedingt selbst gerne Licht in die Dunkelheit bringen"

„Soweit ich mich zurück erinnern kann, hat mich das immer schon fasziniert, Astronaut zu sein. Ich wollte die Welt erforschen, war neugierig, habe Bücher über Stürme, Vulkane, Dinosaurier und Sonnensysteme verschlungen. Ich wollte unbedingt selbst gerne Licht in die Dunkelheit bringen und habe mich gefragt, wie Erdbeben oder Vulkane entstehen“, erinnert sich der sympathische Mann, der jede Menge Bilder und Botschaften aus dem All twitterte.

Gerst ist 1976 in Künzelsau geboren, unweit des Standortes des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums in Lampoldshausen, wo die großen Triebwerke der Europa-Rakete Ariane getestet wurden. „Das konnte man von uns aus tatsächlich hören und ich bin mit meinem Opa öfter hingefahren. Meine Familie hat meinen Forscherdrang immer gefördert“, erzählt Gerst.

Nach dem Zivildienst bereiste er als Rucksacktourist verschiedene Länder, bevor er an der Universität in Karlsruhe Geophysik studierte.

 Aus dem All sendete Gerst live eine Videobotschaft nach Karlsruhe ans KIT, wo er studierte.

Großes Forscherteam unterstützt die Arbeit im All

2006 erhielt Alexander Gerst ein Sommer-stipendium des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Vier Jahre später promovierte er an der Universität Hamburg mit einer Forschungsarbeit zur Eruptionsdynamik. Ihn beschäftigen Fragen nach der kosmischen Umgebung, der Entstehung des Mondes und ob es Leben auf dem Mars gibt. „Seit 50 Jahren haben wir die Möglichkeit, ins All zu reisen und können zu neuen Planeten aufbrechen, das ist großartig“, schwärmt Gärst. Allerdings weiß der Experte auch, dass keine Rakete starten würde, wenn nicht ein großes Forscherteam am Boden die Arbeit im All unterstützen würde: „Meine Arbeit ist im Grunde der verlängerte Arm von 1.000 Ingenieuren und Wissenschaftlern“, meint Gerst.

Angst hatte er keine, als die Rakete im Mai 2014 startete, aber großen Respekt, kein Wunder bei 26 Millionen PS und 300 Tonnen Treibstoff im Tank! Es dauert nur sechs Stunden bis zur Raumstation (früher mussten die Astronauten für die 400 Kilometer zweieinhalb Tage einplanen). Kaum angedockt, machten sich menschliche Bedürfnisse bemerkbar: „Zuerst mal musste ich auf Toilette, wir waren im Raumschiff lange angeschnallt. Ich war erleichtert, dass es besser ging als gedacht“, lacht Gerst.

 Blick auf den Nil von der Raumstation ISS aus.

Mit Rasierschaum improvisieren

Während seiner Zeit in der Schwerelosigkeit hat Alexander Gerst jeden Tag etwa zwei Stunden trainiert, um nicht zu viel Knochenmasse und Muskulatur abzubauen. „Es ist mir gelungen, sogar Muskelmasse aufzubauen. Außerdem wurde festgestellt, dass meine Haut im All weniger schnell altert“, berichtet er. 160 Versuche, die auf der Erde nicht durchzuführen wären, haben die Astronauten dort oben gemacht. „Am Schmelzofen klemmte ein Bolzen. Wir mussten improvisieren und uns mit Werkzeug und Rasierschaum behelfen“, erläutert der Experte.

GPS wäre ohne Weltallforschung nicht denkbar

„Natürlich haben wir während der Mission mitgefiebert. Auf unserer Institutswebpage gab es einen Link zu Alexanders Blog, der auch fleißig genutzt wurde“, so Professor Friedemann Wenzel. Auf der ISS war der Alumnus des KIT für eine Reihe von Experimenten verantwortlich, etwa zu Werkstoffkunde, Plasmaforschung und Strahlenschutz. „Das sind zwar keine Themen, mit denen wir uns am Geophysikalischen Institut beschäftigen. Aber mit seinen Fotos und Berichten von der ISS hat Alexander viele Menschen erreicht und Neugier auf Forschung geweckt – davon profitiert auch die Wissenschaft“, sagt Friedemann Wenzel.

Neue Legierungen für Automotoren, Flugzeugturbinen oder Smartphones werden in der ISS erforscht. „Im Weltall können Legierungen glühend untersucht werden, ohne dass sie ein Randgefäß berühren. Mit den Daten können wir das dann zu Hause am Computer simulieren“, erklärt Gerst. GPS wäre ohne Weltallforschung nicht denkbar. Auch für die Medizin sind diese Experimente ein interessantes Forschungsfeld, es gibt unter anderem Untersuchungen zu Knochenschwund im Weltall oder es werden mit multiresistenten Bakterien neue Medikamente getestet.

 Forscht im All: Viele Versuche hat der Astronaut Gerst in der Schwerelosigkeit durchgeführt.

"Ich will wieder nach oben!"

Eine 500 Kilo schwere Kühlpumpe musste ausgetauscht werden. „Das ist eine tolle Sache, wenn man die Chance hat, raus zu gehen und plötzlich nichts mehr zwischen sich und der Erde zu haben, frei im All schwebend“, erinnert sich Gerst und ergänzt: „Ich bin mir sicher, es würde unser Verständnis komplett verändern, wenn jeder Mensch einmal die Gelegenheit hätte, unseren Planeten aus dieser Entfernung zu sehen. Denn die Erde ist im Grunde eine kleine Gesteinskugel, die durch ein riesiges, schwarzes Universum fliegt mit beschränkten Ressourcen und einer sehr dünnen und zerbrechlichen Atmosphäre. Jede Klimaveränderung, jeder Krieg hat Einfluss auf den gesamten Planeten.“ Kaum war der junge Forscher wieder zurück auf Erden und sicher in Kasachstan gelandet, meinte er: „Ich will wieder nach oben!“

   

Alexander Gerst

Geophysiker und Astronaut, geboren 1976 in Künzelsau,
erlangte sein Diplom an der Universität Karlsruhe.
Interesse an der Raumfahrt weckte sein Großvater, ein Funkamateur, 
der den Mond als Reflektor für Funkverbindungen nutzte.
2007 Bernd Rendel Preis als ausgezeichneter Nachwuchsforscher
2009 begann er seine Ausbildung bei der ESA zum Astronauten.
2010 Promotion Universität Hamburg zur Eruptionsdynamik
2011 Erster Raumflug zur Internationalen Raumstation ISS.
29.5. bis 10.11. 2014 war Gerst im Weltraum in der Raumstation ISS.
2015 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.