Erfolge im Behindertensport

Handwerk leistet großen Beitrag: Es ist entscheidend, sich nicht zu verstecken und wieder Ziele zu finden

Mannheim 1970: Michael Sauer ist zwölf Jahre alt, später will er einmal Arzt werden, aber jetzt dreht sich noch alles ums Rudern. Der Junge zeigt Ehrgeiz, trainiert viel, nimmt sogar an Juniorenmeisterschaften und „Jugend trainiert für Olympia“ teil. Dann ein Motorradunfall mit 18 Jahren, kurz vor dem Abitur. Der rechte Unterschenkel muss amputiert werden, sämtliche Pläne scheinen zunichte gemacht. Doch Sauer gibt nicht auf. „Meine Familie und Freunde haben mich in allen Bereichen unterstützt“, sagt er. Heute hat der 56-Jährige seinen Traum verwirklicht, er arbeitet als Orthopäde und Unfallchirurg, rudert wieder mit seinen früheren Bootskameraden und blickt auf einen Weltmeistertitel und Platz vier bei den Paralympischen Spielen 2008 in Peking zurück.

Ohne das Handwerk und die Orthopädietechnik wäre dieser Erfolg nicht denkbar gewesen. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, verzichtet Sauer auf eine Rehabilitation und macht erst einmal sein Abitur nach. Seinen Alltag meistert er schon damals mit Hilfe einer Prothese – ohne wesentliche Einschränkungen. „Meine erste Prothese war aber im Vergleich zu meiner heutigen Versorgung wie ein Hollandrad zu einem Carbon-Rennrad“, erklärt Sauer. Viel hat sich seither getan in der Orthopädietechnik. Mit dem richtigen Equipment – vom ultraleichten Rollstuhl bis zur Beinprothese aus Carbonfasern – vollbringen behinderte Sportler mittlerweile ähnliche Spitzenleistungen wie körperlich unversehrte Sportler, Rekorde purzeln am laufenden Band. Mehr als 36.000 Orthopädietechniker helfen deutschlandweit behinderten Menschen, ihren Alltag zu bewältigen und sorgen für Spitzenleistungen im Behindertensport. (Stand 2012) Darunter auch derzeit 16 Gesellen, sieben Auszubildende und zehn Meister bei der Firma Storch und Beller mit Hauptsitz in Karlsruhe.

„Orthopädietechnik-Mechaniker sollten handwerkliches Geschick und technisches Verständnis mitbringen, um auch mal ungewöhnliche Lösungen bei der Konstruktion orthopädischer Hilfsmittel zu finden“, sagt Tobias Bauer, der als Mitglied der Geschäftsführung von Storch und Beller für den Fachbereich Orthopädietechnik zuständig ist. Neben der reinen Herstellung sei aber auch die optimale handwerkliche Anpassung des Prothesenschaftes an den Stumpf wichtig, um die Prothese vollumfänglich nutzen zu können. Gerade beim Anpassen von Prothesen ist Kommunikation und Einfühlungsvermögen gefragt. Beim Leistungssport spielt die individuelle Anpassung noch eine viel größere Rolle, weil die Leistungsdichte an der Spitze zunimmt und Feinheiten über Medaillen entscheiden können. Orthopädietechniker und Sportler arbeiten hier eng und dauerhaft zusammen. „Ohne engagierte Orthopädietechniker, die mit Zeit und Geld behinderte Sportler unterstützen, ist gerade im paralympischen Sport keine Spitzenleistung möglich“, so Sauer.

Hightech trifft auf Kraft

Handwerk und Behindertensport heißt Hightech trifft auf Kraft – so die einhellige Meinung bei Storch und Beller. Deshalb engagiert sich das Karlsruher Traditionsunternehmen als Hauptsponsor der Karlsruher Rugby-Rollstuhl Mannschaft „The Rebels“ und des Para Sportclub Pforzheim im Rollstuhl-Basketball. Oder Ottobock. Der Orthopädiekonzern aus dem niedersächsischen Duderstadt ist seit 1988 in Seoul bei den Paralympics dabei. Seither ist das Projekt stetig gewachsen, mittlerweile ist der Mittelständler von den Austragungsorten der Paralympics nicht mehr wegzudenken. Firmenchef Hans Georg Näder formuliert es so: „Das Engagement für die Paralympics ist ein Bestandteil unserer DNA geworden.“ In Sotschi waren 28 Orthopädietechniker aus elf Ländern mit 11.000 Ersatzteilen und drei Tonnen Werkstattausrüstung aktiv. Auch für Michael Sauer war Ottobock eine große Hilfe. Fürs Rudern brauchte er mehr als eine einfache Gehhilfe. „Meine Sportprothese musste die fürs Rudern typischen Bewegungsabläufe, also extreme Beugung im Knie und Fußgelenk, zulassen“, erzählt Sauer. Dazu wurde ein Fuß von Ottobock so verändert, dass er klappbar war. Der Prothesenschaft wurde extrem weit in der Kniekehle gekürzt. „Gehen ist mit dieser Prothese fast unmöglich, aber Rudern geht ausgezeichnet“, sagt Sauer. Heute trainiert Sauer drei bis vier Mal pro Woche, auch seine zwei Kinder sind begeisterte Ruderer. In seiner Praxis in Speyer macht er mit seinem Beispiel den Patienten Mut: „Ich habe immer versucht, meine Vision zu leben. Entscheidend ist, sich nicht zu verstecken, wieder Ziele zu finden und schrittweise die angestrebten Dinge zu erreichen.“

Bernadette Winter

Fotos: Alexander Grüber, Storch und Beller & Co. GmbH, Ottobock