Luftfahrtpioniere aus Karlsruhe

Mit einem neuartigen Fluggerät sorgt die Firma e-volo weltweit für Aufsehen. Ihr „Volocopter“ soll bald in Serie gehen und die Luftfahrt revolutionieren. Die Mobilität der Menschheit könnte sich mit dem Lufttaxi der Zukunft ändern.

Es ist der 21. Oktober 2011 in der Region Karlsruhe. Eine Handvoll Männer macht sich an einem seltsam anmutenden Fluggefährt zu schaffen: Vier dürre Aluminiumausleger, jeweils fünf Meter lang und bestückt mit vier kleinen Rotoren, sind überkreuz miteinander verschraubt. „Volocopter VC1“ nennen die Tüftler ihr aus Eigenmitteln finanziertes Gerät. Ein Jahr Vorbereitung und etwa 100.000 Euro haben sie bis dahin in die Idee gesteckt. In der Mitte schnallt sich Testpilot Thomas Senkel auf einem kleinen Plastiksitz fest – darunter dient ein Sitzball als Stoßdämpfer für die Landung. Was dann passiert, schreibt Luftfahrtgeschichte. Unzählige Medien rund um den Globus berichten darüber: Der VC1 erhebt sich langsam und schwebt schließlich knapp zwei Meter hoch in der Luft. Es ist der weltweit erste bemannte Flug mit einem rein elektrisch betriebenen und senkrecht startenden Fluggerät, einem Multikopter – so werden Helikopter genannt, die nicht einen großen Rotor, sondern mehrere kleine Propeller besitzen. „Viele hatten schon diese Idee“, erklärt einer der Beteiligten, Alexander Zosel. „Aber wir waren die ersten, die einen bemannten Flug realisierten.“ Wir, das ist neben Senkel und Zosel noch Stephan Wolf. Der Traum vom Fliegen brachte sie zusammen.

Zwei Millionen Euro zur Weiterentwicklung

Der VC1 hob nur einmal ab. Aber die Tüftler arbeiten weiter umtriebig an ihrer Idee. Ihr Unternehmen nennen sie „e-volo“. Volo ist das italienische Wort für „Flug“. Das „e“ steht für elektrisch. Das Ziel: Den Volocopter bis zur Serienreife entwickeln – und das von Karlsruhe aus, wo die Firma im Siemens Industriepark ihren Sitz hat. „Als wir anfingen, hatten wir nur den Wunsch, mit unserer Technik zu fliegen, aber keine Vorstellung, welches Produkt dabei herauskommen könnte“, sagt Zosel. Mittlerweile nimmt das Flugobjekt immer mehr Gestalt an. Unter anderem vom Bundeswirtschaftsministerium wurden Fördermittel von rund zwei Millionen Euro zur Weiterentwicklung bewilligt. Die Firma e-volo hat ein Konsortium mit Partnern aus Hochschulen und Industrie gebildet. Etliche Hersteller etwa von Elektronikkomponenten sind auf e-volo zugekommen – „weil sie unser Projekt toll finden oder auch, weil sie sich neue Absatzchancen ausrechen“, erläutert Wolf. Die gesamte Entwicklung kann daher auf sehr hohem Niveau stattfinden.

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Ein schneeweißer, zweisitziger Prototyp unter der Bezeichnung VC200 hat längst seine Flugtauglichkeit unter Beweis gestellt. Jungfernflug war im November 2013 in der Karlsruher dm-Arena: Einen Sack Schrauben mit dem Gewicht eines erwachsenen Menschen an Bord stieg VC200 mehrmals senkrecht bis in die Nähe der Hallendecke in 22 Metern Höhe auf und flog grazile Kurven, um nach einigen Minuten wieder sicher auf dem Hallenboden zu landen. „Erst wenn wir die Flugerlaubnis haben, darf der erste bemannte Flug stattfinden“, erklärt Stephan Wolf. Alle Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. „Satter und unglaublich leiser Sound, absolut keine spürbaren Vibrationen im Flug“, so das Fazit. Auf dieser Grundlage wird derzeit die Serienproduktion vorbereitet.

Der Volocopter ähnelt optisch einem Helikopter. „Damit ist die beste Marktakzeptanz zu erwarten“, betont Zosel. Weltweit mehrere hundert Kaufinteressenten gebe es bereits. Im Gegensatz zu einem Hubschrauber wird der Volocopter aber von bis zu 18 horizontalen Rotoren angetrieben, die auf mehreren Trägern entlang und innerhalb eines Karbonrings über dem Cockpit angebracht sind. Der Antrieb ist elektrisch. „Diese Antriebsart ist ausgesprochen leise, umweltschonend und führt zu einer signifikanten Senkung der Flug kosten“, betonen die Erfinder. Bei einer Stunde Flugzeit fallen Energiekosten von weniger als 15 Euro an. Die Akkus werden nach dem derzeitigen Stand der Technik eine Flugzeit von etwa 30 Minuten erlauben – in einigen Jahren könnte das bis zu zehnfache möglich sein. Die Pläne sehen bei einer angestrebten Spitzengeschwindigkeit von bis zu 100 Stundenkilometern aber vor, die Flüge mit Hilfe von benzingetriebenen Stromgeneratoren auf mehrere Stunden zu verlängern.

Eigene Luftfahrt-Klasse wird eingerichtet

Zwischenzeitlich haben die zuständigen Behörden ein Erprobungsprogramm zur Schaffung einer eigenen Luftfahrt-Klasse beschlossen. „Das ist unser größter Erfolg“, erläutert Zosel. „Damit haben wir bereits eine wesentliche Voraussetzung für den späteren Verkauf der Geräte eingeleitet.“ In den weiteren Schritten werden nun neben den Bauvorschriften auch das Schulungswesen für Piloten und Ausbilder ausgearbeitet sowie die Flugbetriebsordnung bestimmt. Wenn es nach den Entwicklern geht, sollen ihre Volocopter in noch leistungsfähigeren Varianten irgendwann klassische Einsatzgebiete eines Helikopters übernehmen. Sie könnten zum Beispiel bei Wartungsarbeiten von Stromleitungen, Lufttaxi in Ballungsräumen wie São Paulo und bei Rettungseinsätzen verwendet werden. „In 30 Jahren werden 20 bis 30 Prozent des heutigen Hub- schraubermarkts mit unserer Technik abgedeckt“, ist sich Zosel sicher. Die Firma denkt zudem über eine einsitzige Version für Jedermann nach. „Das ist die noch größere Vision“, sagt Zosel. „Davon träumt doch die ganze Welt.“ Einen Erfolg versprechen sich die Macher vor allem auch, weil ihre Geräte sehr einfach zu fliegen sind. Die automatische Lageregelung und die Richtungssteuerung erfolgen mit mehreren unabhängigen und sich gegenseitig überwachenden Bordcomputern. Per Joystick gibt der Pilot die Richtung vor, den Rest vollbringt die Elektronik.

Auch Kinder damit fliegen lassen

Zudem dürfte der Volocopter das sicherste Fluggerät überhaupt werden. Bei ihm können mechanisch zwei komplette, nicht nebeneinander liegende Arme ausfallen und er kann trotzdem noch sicher gelandet werden. Selbst beim Ausfall von zwei Batterieblöcken ist noch eine sichere Landung möglich. Als letzte Sicherung verfügt der Volocopter über ein ballistisches Komplettrettungssystem, bei dem im Notfall das ganze Fluggerät an einem Fallschirm sicher zu Boden sinkt. Alexander Zosel: „Wenn man es bis auf die Spitze treiben würde, könnte man auch Kinder damit fliegen lassen!"

Bereits 2016 will e-volo die Serienproduktion beginnen. Dass das Karlsruher Start-up so rasch so weit mit seinem Himmelsstürmer kommen konnte, hat es auch einer außerordentlichen Handwerksleistung zu verdanken. Die DG Flugzeugbau in Bruchsal hat die leichte Carbonzelle und das Kufenlandegestell des Prototypen gebaut. Bei diesem weltweit zu den führenden Herstellern von Segelflugzeugen und Motorseglern gehörenden Unternehmen wird voll auf Handarbeit gesetzt: „Wir haben fast keine größeren Maschinen und zwar nicht deshalb, weil wir sie uns nicht kaufen könnten, sondern, weil es keine vernünftige Einsatzmöglichkeit für sie gibt“, erklärt die Firma. Das wichtigste Handwerkszeug seien Pinsel und Rolle, um das Harz aufzutragen. Für die Serienproduktion hat e-volo schon auf dem Bruchsaler Firmengelände eine Halle gemietet und die DG Flugzeugbau wird dann auch wieder Teile für das angehende Flugtaxi der Zukunft liefern.
Der Volocopter ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden, so als „Hightech Pioneer“ vom Karlsruher Unternehmernetzwerk „Cyber-Forum“ oder beim Umweltpreis „GreenTec Awards“: In der Kategorie Luftfahrt landete das kleine Unternehmen aus Karlsruhe nur knapp hinter Airbus. Auch die Lindbergh-Foundation zeichnete die Luftfahrtpioniere aus und von Erik Lindbergh, Enkel der amerikanischen Fluglegende Charles Lindbergh, kam das vielleicht höchste Lob: „Wenn dieses innovative Konzept den kommerziellen Markt erreicht, wird es dramatisch die Art und Weise verändern, wie wir uns über den Planeten bewegen.”

Christoph Ertz
Weitere Informationen: www.evolo.com
Quelle: YouTube