Meister der Sportfotografie

Täglich Fotos für die Medien – und auch mal für die Ewigkeit: Mit Markus Gilliar kommt einer der besten Sportfotografen aus Karlsruhe

Brasilien war der absolute Höhepunkt: So nah kam kein anderer Fotograf an die deutsche Fußballnational-mannschaft ran. Markus Gilliar war bei den Trainings, bei den Spielen sowieso und als einziger Pressefotograf bei der Party nach dem Sieg von Rio. Er saß im Flieger mit der Weltmeistermannschaft, der über die Fanmeile in Berlin flog, er war im Truck durch die Bundeshauptstadt dabei und dann neben und auf der Bühne, um den Partyrausch für die Weltmeister am Brandburger Tor mit der Kamera einzufangen. „Es herrschte von Anfang an eine richtig gute und ebenso gelassene wie entschlossene Stimmung in der Mannschaft. Das größte Erlebnis war natürlich das gewonnene Finale und die anschließenden Jubelarien, sportlich unvergessen ist das 7:1 gegen Brasilien,“ fasst Gilliar seine sechs Wochen bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 zusammen – eine WM, die ihm sogar wieder einen „Thomas-Müller-Moment“ bescherte.

Rückblende: Thomas Müller hob ab. Gerade hatte der Nationalspieler bei der WM 2010 in Südafrika im denkwürdigen Achtelfinalspiel gegen den ewigen Rivalen England das 4:1 erzielt und schrie seine Freude heraus. Noch bevor Müller wieder Boden unter den Füßen hatte, machte Markus Gilliar Klick, also etwas, was er schon ungezählte Mal in seinem Leben getan hat. Aber dieses Mal war es ein ganz besonderer Klick – er hatte einen perfekten Augenblick zum Auslösen seiner ferngesteuerten Hintertorkamera gefunden. „Ein Tor für die Ewigkeit“ taufte der Sportfotograf sein Bild, das von einer Jury zum „Sportfoto des Jahres 2010“ bestimmt wurde. „So etwas kannst du nicht steuern“, erklärt der Preisträger. „Es gehört zwar eini- ges an Können und Erfahrung dazu, aber auch etwas Glück."

Sportfoto des Jahres

Beim Vorrunden-Sieg in Brasilien gegen Portugal bannte Gilliar Thomas Müller in ganz ähnlicher Manier auf ein Foto: Wieder ist der Ball im Netz zu sehen und wieder sieht der Betrachter den Kopf des Nationalspielers umrahmt von einer Masche des Tornetzes und wieder ist er in Jubelpose: Nach dem Kopfballtor von Mats Hummels reckt Müller einen Arm in die Höhe – wieder ein ganz besonderer Klick in einem nun schon sehr langen Schaffen mit vielen außergewöhnlichen Momenten. Denn die von Gilliar mitgegründete und heute allein geleitete „GES Sportfoto-Agentur“ aus Dettenheim-Liedolsheim bei Karlsruhe ist ein ganz wesentlicher Akteur in der Sportfotografie. Welt- und Europameisterschaften, Bundesliga, Champions League, Formel 1, Tennis, Boxen, Wintersport oder Olympische Spiele – es gibt so gut wie kein bedeutendes sportliches Ereignis, das GES und Markus Gilliar nicht mit der Kamera festhalten – nicht immer für die Ewigkeit, aber stets für die aktuelle Berichterstattung. Wohl jeder Zeitungs- und Zeitschriftenleser in Deutschland dürfte daher schon Fotos von Gilliar und seinen Mitstreitern am Auslöser gesehen haben, auch wenn bestimmt die wenigsten dabei das Kürzel „GES“ am Bild- rand bewusst wahrnehmen.

Schülerknipser“ beim KSC

1985 war es, als es offiziell losging – der Eiserne Vorhang schien noch auf ewig verschlossen, Helmut Kohl war noch nicht einmal drei Jahre Kanzler und der deutsche Fußball befand sich nach der fehgeschlagenen EM in Frankreich in einer seiner tiefsten Krisen. Mit Werner Eifried und Ralf Stockhoff gründete Gilliar mit 22 GES – der Name der Sportbildagentur leitet sich aus den Anfangsbuchstaben der Nachnamen ab. Damit wurde das Hobby zum Beruf, denn schon als Gymnasiast besuchte Gilliar zusammen mit seinem Freund Werner Eifried die Spiele des Karlsruher SC, erst noch zum Unwillen der damals arrivierten Profi-Fotografen, die sich über „Schüler-Knipser beim KSC“ beschwerten. Aber die Akkreditierung über eine Düsseldorfer Agentur lenkte alles in die passende Bahn zum Traumberuf. Es gelang den beiden jungen Foto-Enthusiasten und -Autodidakten sogar schon bald, ein Foto an das Sportmagazin „Kicker“ zu verkaufen, was eine Art Ritterschlag im Sportjournalismus bedeutet.

Im Lauf der Jahre entwickelte sich GES zu einem Begriff für hervorragende Sportfotos, die ihren Weg selbst in viele internationale Magazine gefunden haben. So fing Gilliar 1988 beim olympischen Start des 100-Meter-Finals den danach des Dopings überführten kanadischen Sprinter Ben Johnson ein, wie sein Bizeps vor Muskelmasse schier aus dem Oberarm zu explodieren schien – sicher auch ein Moment für die Ewigkeit. Die amerikanische „Sports Illustrated“ brachte das Foto auf einer Doppelseite. In den Anfangsjahren erfolgte der Bildversand noch mit Schwarz-Weiß-Papierabzügen, die nach dem Sportevent in der eigenen Dunkelkammer abgezogen und dann zum Kurierwagen des letzten Zuges gebracht wurden, damit die Bilder dann Stunden später oder erst am nächsten Morgen bei den Redaktionen eintrafen. „Wir haben die Bilder im Fahrtwind getrocknet“, erinnert sich Gilliar. „Den zeitnahen Transport der Fotos beherrschte sicher niemand so wie wir.“ Heute, im Zeitalter der Di- gitalfotografie, geht alles rasend schnell: Beispielsweise schon während eines Bundesliga-Spiels werden aktuelle Fotos vom Spielgeschehen übertragen. Allerdings muss es auch so schnell gehen, denn die Konkurrenz ist riesig. „Pro Bundesliga-Spiel“, berichtet Gilliar, „stehen den Redaktionen 1.000 bis 1.500 Fotos zur Verfügung.“

Hoffotograf für die, die den Bundesadler tragen

Um in diesem Wettbewerb aus Nachrichten- und Fotoagenturen, Haus-Fotografen, freien Fotografen, Pauschalisten und Hobbyknipsern zu bestehen, arbeitet Gilliar insbesondere mit festen Partnern aus Verlagen sowie Vereinen und Verbänden und deren Sponsoren zusammen. Der enge Kontakt zur Nationalmannschaft kam vor einem Jahrzehnt über den damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann zustande – sozusagen als „Hoffotograf für die, die den Bundesadler tragen“ erlebte er auch schon das Sommermärchen 2006 hautnah mit. Zudem setzt Gilliar auf Klasse statt Masse – Fotografieren statt Knipsen, so lautet die erfolgreiche Philosophie von GES. Handwerkliches Können und ein großes Maß an Erfahrung sind nach seiner Ansicht auch heute noch ein absolutes Muss, um die Einzigartigkeit einer Situation in Bruchteilen von Sekunden zu erkennen. Zudem ist ihm ein gutes Betriebsklima bei seinen sechs Mitarbeitern, die auch weniger glamouröse Sportveranstaltungen wie die Kreisliga abdecken, sehr wichtig: „Frustrierte Fotografen können keine guten Sportfotos produzieren“, sagt er.

Der dreifache Familienvater ist auch vielfach engagiert. So ist er seit 1993 Sprecher der deutschen Sportfotografen und seit 2011 einziger Fotograf innerhalb der zwölfköpfigen Medienkommission des Weltfußballverbandes FIFA. Ein besonderes Verhältnis hegt Gilliar zum KSC, bei dem er Vereinsmitglied ist und als Partner für alle Fotoproduktionen fungiert. „Schon als Zehn-Jähriger war ich im Fan-Block“, erzählt Gilliar. Von da an machte er alle Höhen und Tiefen des Vereins mit. „Mittlerweile hab ich aber gelernt, erst zu fotografieren und dann zu jubeln“, sagt er – und ein Abstaubertor seines Lieblingsklubs ist ihm jederzeit genauso willkommen wie ein Tor für die Ewigkeit. Das meistgedruckte GES-Foto zeigt eh ein äußerst profanes Motiv: die Anzeigentafel des Wildparkstadions. Darauf ist zu lesen: 7:0! Das Ergebnis vom legendären Valencia-Spiel im UEFA-Cup 1993 – ganz gewiss auch ein Moment für die Ewigkeit.

Christoph Ertz

Weitere Informationen: www.ges-sportfoto.de

Quelle: YouTube

Fotos: GES