Kunstweg im Murgtal

In den Fels geschliffen: Der „Kunstweg am Reichenbach“ bei Gernsbach ist zu jeder Jahreszeit ein besonderes Erlebnis

Manches entdeckt der neugierige Wanderer erst auf dem Rückweg! Versteckt warten die Kunstwerke, doch nur wer genau hinschaut, sieht die von Alf Setzer mit feiner Kontur in den Fels geschliffenen Kreise, die langsam von Tüpfelfarn und Lebermoos überwuchert werden. Manches verwittert auch, wie beispielsweise die zu einem dichten Kreis aufgestellten Baumstämme von Angela M. Flaig. Kunst geht hier eine ganz erstaunliche Symbiose mit der Natur ein. Dieses Tal ist einzigartig: Zwischen Hilpertsau und Reichental schlängelt sich der Reichenbach durch mit Moos und Farn bedeckte Felsen, entlang der Hänge voller Fichten und Tannen. Immer wieder blinzeln Sonnenstrahlen durch die Äste und erzeugen wunderbare Licht- und Schattenspiele. Wer den drei Kilometer langen „Kunstweg am Reichenbach“ beschreitet, wird nicht nur mit einer üppigen Vegetation belohnt, rund 30 Skulpturen säumen den gut begehbaren Wanderweg.

Eine Besonderheit des Tales sind die alten Heuhütten, von denen noch etwa 85 Stück erhalten sind. Aus Südtirol kamen damals die Bauern ins Tal und brachten die Tradition der Heuhütten mit. Da in den Dörfern nicht genügend Platz war, um große Heuspeicher am Haus zu bauen, hatte jeder ein Stück Land mit seiner Heuhütte, um Futtermittel für die Tiere zu lagern. Bis heute werden hier durchs Tal die Schafsherden getrieben, um der Natur Einhalt zu gebieten.

Vor zehn Jahren hatten die beiden Bildhauer Rüdiger Seidt und Jürgen Diskau die Idee, entlang des Weges Kunstwerke zu zeigen, die einerseits Bezug auf die Besonderheiten der Landschaft nehmen, andererseits eine eigenständige Ergänzung bilden: Natur und Kunst im Wechselspiel. „Wir mussten einige Hürden überwinden“, erzählt Seidt und erinnert an zahllose Gespräche mit dem Bürgermeister, dem Naturschutzbund, den Bewohnern und natürlich den beteiligten übrigen Künstlern. Die Initiatoren haben in einer temporäreren Galerie in Gernsbach Modelle ausgestellt, Flyer gedruckt und Gelder beantragt, bevor im Sommer 2004 die ersten Kunstwerke aufgestellt wurden.

Zu jeder Jahreszeit ist der Weg ein Erlebnis

Der Bildhauer Werner Pokorny mit seinen ineinander gekippten und auf den Kanten stehenden Häusern aus Corten-Stahl war von Anfang an dabei sowie Rolf Bodenseh, dessen Betonstühle in verschiedenen Anordnungen entlang des Weges immer wieder auftauchen, paarweise gestellt, gedreht, gelegt, mal aneinander, mal zueinander oder gegenüber. Jedes Jahr wechseln die Exponate. Carine Doerflinger und Timm Ullrichs beziehen die Heuhütten direkt mit ein. Doch nicht nur an oder in den Hütten, auch auf den Felsen oder hinter hohem Springgras findet sich Kunst. Man muss schon genau spähen, um alles zu entdecken: Die von Voré aus Sandstein geformten Fragmente haben bereits Patina angesetzt. Den Blick himmelwärts in die Baumkronen gerichtet, sind die Baumglocken aus alten Zeitungen von Josef Bücheler zu bewundern, die er mit Asche, Erde und Graphit überzieht. Doch auch an ihnen nagt der Zahn der Zeit, sie verwittern langsam und lösen sich auf. Kunst, die für den Augenblick gemacht ist und nicht den Anspruch der Ewigkeit erhebt.

Jeden ersten Sonntag im Monat bietet Rüdiger Seidt eine Führung an und hat zu allen Arbeiten spannende Geschichten parat. Eine Anmeldung ist nicht nötig, wer am Treffpunkt ist, läuft mit, schnell kommt die Gruppe ins Gespräch. Im Sommer ist der Kunstweg sehr beliebt, in den kälteren Jahreszeiten geht es ruhiger zu. Biologen laufen mit, auch andere Künstler oder Einheimische. Zu jeder Jahreszeit ist der Weg ein Erlebnis und nie gleicht eine Tour der andern, weiß Seidt, der selbst sein Atelier in Forbach hat und große Skulpturen aus Stahlblech fertigt. Im Laufe der Jahre ist die Anzahl der Exponate gestiegen, spannende Arbeiten aus unterschiedlichen Materialien kamen hinzu, wie die fantastische „Welle“ aus Stahl, Glas und Lack des Karlsruher Künstlers Wolf- gang Rempfer. Wenn einmal wegen schlechten Wetters tatsächlich niemand zur Führung kommt, geht Seidt die Strecke alleine ab. „Im Winter ist der Kunstweg besonders reizvoll, wenn die Natur ruht und nicht so üppig sprießt, kommen die Kunstwerke ganz anders zur Geltung.“

Ute Bauermeister

Weitere Informationen: www.kunstweg-am-reichenbach.de

Fotos: Rüdiger Seidt