Erkundung der Körper im Tanz

Die aus Karlsruhe stammende Choreografin Sasha Waltz beglückt mit ungewöhnlichen Tanzstücken die ganze Welt / Große Ausstellung mit Live-Performances zu ihrem 50. Geburtstag im ZKM / Mit beiden Händen am Werk

Die international gefeierte Choreografin Sasha Waltz ist eine mächtige Bilderfinderin, sie malt mit den Körpern der Tänzer und gruppiert deren Bewegungen zu nie gesehenen Bildern, die sich ins Gedächtnis brennen. Ihre Choreografien überraschen und berühren, sind sensibel, authentisch und zeitnah. Sie mutet sowohl den Tänzern als auch den Zuschauern einiges zu: Abknickende Glieder, Körper, die am nackten Bauch in die Höhe gehoben werden oder Körper, die sich in eine Art Aquarium zwängen und Körper, die sich aus Klappläden herauswinden, zu zweit in eine Jacke quetschen, an den Zöpfen miteinander gefesselt sind, sich ziehen, schweben, balancieren und immer wieder berühren. Das Thema „Körper“ hat Sasha Waltz in einer Trilogie erkundet, erst sachlich, dann erotisch und schließlich metaphysisch.

Loslassen und Abschiednehmen

Ihre Choreografien wirken manchmal wie in Zeitlupe und haben gerade deshalb eine magische Kraft, ein ganz großes Gewicht. „Jedes Stück hat mit meiner Biografie zu tun, weil ich nur dann etwas Tiefes erzählen kann“, sagt sie. Die Geburten ihrer beiden Kinder Laszlo im Jahre 1997 und Sophia 2002 haben sie ebenso stark geprägt wie 2001 der Tod ihrer Mutter. Danach erarbeitet sie „noBody“ das dritte Stück der Körper-Trilogie und erforscht über Körper und Bewegung das Loslassen und Abschiednehmen. Alles fängt schon im Karlsruher Elternhaus an: „Ich habe mit fünf Jahren zu tanzen begonnen“, erinnert sie sich: „Weil ich mich gerne bewegt habe, haben meine Eltern mich zu der Tanzlehrerin Waltraut Kornhaas geschickt, die selbst eine Mary Mary-Wigman-Schülerin war. Sie hatte Bücher über Ausdruckstanz und über Pina Bausch.“

Sasha Waltz ist 1963 in der Fächerstadt geboren, als Tochter eines Architekten und einer Galeristin, zu Hause sind alle Räume offen, Kunst und Theater begleiten sie und ihre Geschwister von Kindesbeinen an. Eigentlich will sie Malerin werden und arbeitet gerne mit ihren Händen. „Sie ist handwerklich sehr begabt, hat Objekte gemacht und kann hervorragend nähen“, bescheinigt ihre Schwester Yoreme Waltz, die von Anfang an im Team mitarbeitet und managet. Ein Tanzworkshop in Freiburg gibt den Ausschlag und fortan wünscht sich Sasha Waltz nur noch eines: tanzen,tanzen, tanzen.

Nach dem Abitur geht sie nach Amsterdam und New York, um modernen Ausdrucktanz zu studieren. Hier entstehen bereits erste eigene Choreografien. 1992 bekam sie in Berlin ein Stipendium des Künstlerhauses Bethanien angeboten und erarbeitete ihre ersten „Dialoge“.

Berlin steckt nach der Wende voll Energie und bietet Sasha Waltz den richtigen Schmelztiegel für ihre experimentellen und sparten- übergreifenden Stücke. Mit ihrem Ehemann, dem Kulturmanager und Dramaturgen Jochen Sandig, gründet sie hier ihre eigene Tanzkompanie „Sasha Waltz & Guests“. Unermüdlich arbeitet Sasha Waltz an neuen Stücken und kitzelt aus ihren Tänzern in einem sehr persönlichen Arbeitsprozess alles heraus. Viele arbeiten über Jahrzehnte mit ihr zusammen und schätzen ihren gefühlvollen sensiblen Umgang mit existentiellen Themen. Doch die Tänzer müssen auch einiges aushalten: Sie robben zwischen Hölzern, hangeln sich an schmalen Balustraden in Schwindel erregender Höhe entlang und demonstrieren immer wieder die Möglichkeit, verletzlich zu sein.

Waltz lässt sich von Räumen inspirieren und packt bei der Renovierung selbst an

1996 gründet Sasha Waltz in Berlin die Sophiensäle, eine spartenübergreifende Produktions- und Spielstätte. Bei der Renovierung packt sie selbst mit an, klettert auf Gerüste, streicht die hohen Decken und radelt von einem Flohmarkt zum nächsten auf der Suche nach passenden Requisiten. Mit dem Eröffnungsstück „Allee der Kosmonauten“ über den trostlosen Alltag in einer Plattenbausiedlung gelingt ihr der internationale Durchbruch. Seither gilt sie international als eine der wichtigsten zeitgenössischen Choreografen und als spannendste Erneuerin des Tanztheaters seit Johann Kresnik und Pina Bausch. Für Sasha Waltz sind echte, materielle Räume Inspirationsquellen. Sie tanzt mit ihrer Kompanie in Berlin im Palast der Republik, bevor der abgerissen wird, im Jüdischen Museum und dem wieder eröffneten Neuen Museum. Sie tritt mit diesen Räumen in Dialog, vereinnahmt sie auf einzigartige Weise, so auch das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM).

Sensationelle Ausstellung im ZKM zum 50. Geburtstag von Sasha Waltz

Tanz im Museum, geht das? Lassen sich Choreografien ausstellen? Körper, die liegen oder hängen, sich aneinander vorbei und über- einander hinweg bewegen und das alles mit minimalen Bewegun- gen: Tanz als eine Feier der Emotionen, des Körpers. Tanz im Mu- seum, das geht großartig, wie die große Sonderausstellung im ZKM gezeigt hat. ZKM-Chef Peter Weibel hatte die Idee, eine Ausstellung mit und über Sasha Waltz zu machen. Anlass war der 50. Geburtstag dieser außergewöhnlichen Frau sowie der 20. Geburtstag ihrer Kompanie.

„Das Thema Körper ist gerade auch für Jugendliche, die in einer immateriellen Cyberwelt aufwachsen, eine ganz neue Erfahrung“, weiß Peter Weibel, der die Arbeit von Sasha Waltz sehr schätzt. „Es gibt ja neue Tendenzen, die man unter dem Begriff 'performative Wende' zusammenfassen kann“, erklärt er. „Die Ausstellung soll zur Aufführung werden. Die Aufführung soll zur Ausstellung werden. Und Sasha Waltz macht das schon lange und am radikalsten.“ Diese Kombination aus Filmen, Installationen, Objekten und Live-Tanzperformances ging auf: 60.000 Besucher haben sich begeistern lassen. Dicht gedrängt stehen die Menschen bei der Eröffnungsperformance „Cloud“, als im Foyer ein weißer Stoff ballonartig aufgeplustert wird, den eine Tänzerin in Schach hält und sich daran entlang hangelt oder von ihm nach oben tragen lässt. „Ich war sehr glücklich über die Ausstellung und den Erfolg. Es war für mich auch eine spannende Zeitreise, ich habe ja mein Archiv durchforstet und geöffnet und die vergangenen 20 Jahre meiner Arbeit präsentiert. Wir haben die Exponate und Stücke speziell auf die Räumlichkeiten zugeschnitten“, erzählt Waltz.

Doch die Ausstellung ist nur eines ihrer vielen Projekte. Sie gibt Interviews in Australien, Gastspiele in Sidney, Brüssel, Mailand, Südkorea und Salzburg, um nur wenige Stationen zu nennen. Lange hat sie um höhere Zuschüsse und die Anerkennung ihrer Kompanie als feste Kulturinstitution gekämpft. Bei einem Etat von vier Millionen Euro muss sie die Hälfte selbst einspielen, damit bewegt sie sich in der Liga der Berliner Philharmoniker. Weil sie die notwendigen Mittel nicht zugesprochen bekam, musste sie eine strukturelle Umstellung vornehmen und schweren Herzens ihr festes Tanzensemble auflösen. Sie kann die Tänzer nur noch projektbezogen engagieren. Aktuell erarbeitet sie mit „Orfeo“ von Claudio Monteverdi zum sechsten Mal eine choreografische Oper, die im September 2014 in Amsterdam uraufgeführt wurde. Sie entwickelte dafür eine eigene Bewegungssprache als gleichberechtigte Partitur neben der musikalischen, ein Zusammenspiel aus Tanz, Gesang, Instrumentalmusik und Bühnengestaltung. Orfeo ist im Juni 2015 im Festspielhaus Baden-Baden zu Gast. Und auch mit dem ZKM gibt es weitere Pläne für eine neue Zusammenarbeit 2016. Doch genug erzählt, Sasha Waltz muss wieder zu den intensiven Proben, gestikuliert, nimmt die Hände der Tänzer und erklärt worum es ihr geht: „Beim Tanzen findet über die Berührung alles statt, über Wärme, Intensität, Gewicht, aus diesen Teilen entstehen Folgebewegungen, die Basis ist das Berühren.“

Ute Bauermeister

Weitere Informationen: www.sashawaltz.de

Quelle: YouTube

Fotos: Felix Grünschloß, Sebastian Bolesch, ZKM Karlsruhe