Attraktiver Wirtschaftsstandort

Interview mit Baden Badens Oberbürgermeisterin Margret Mergen

Das Interview führte Ariane Lindemann

Sie sind seit einem Jahr Oberbürgermeisterin in Baden-Baden. Davor haben Sie vier Jahre als Erste Bürgermeisterin in Karlsruhe gewirkt. Mit der Kurstadt an der Oos haben Sie eine wirtschaftlich sehr stabile und gut positionierte Stadt übernommen. Welche neuen Akzente wollen Sie hier setzen?

Es ist tatsächlich überraschend, wie viele Potentiale in dieser Stadt vorhanden sind. Damit sind nicht nur der gesamte touristische Bereich, sondern ebenso die vielfältigen Potentiale im Bereich der Finanzdienstleistungen, des Einzelhandels und des produzierenden Gewerbes gemeint. Mir ist wichtig, dass wir auch unserer jungen Bevölkerung eine echte Perspektive in dieser Stadt aufzeigen können und wir haben mit unserem hervorragenden schulischen Angebot, aber auch mit unserem Aus- und Weiterbildungsangebot in diesem Bereich schon sehr viel erreicht. Auch die Studienangebote, die wir derzeit in unserer Europäischen Medien- und Eventakademie etablieren, stimmen mich optimistisch. Nach wie vor verlassen aber gerade junge Menschen wegen einer Berufsausbildung oder eines Studiums unsere Stadt  und gründen anderswo ihren Lebensmittelpunkt. Natürlich ist dies auch ein Stück weit unserer modernen Zeit geschuldet. Trotzdem ist es wichtig, alles zu tun, um gerade auch für unsere eigene junge Bevölkerung einen attraktiven  Standort mit einem perspektivischen Arbeitsplatzangebot bieten zu können. Bereits in meiner Karlsruher Zeit habe ich mich intensiv um die Förderung von beruflichen Existenzgründungen gekümmert. Auch in Baden-Baden ist das eine sehr spannende und lohnende Aufgabe. Zwar fehlt hier das studentische Milieu und das universitäre Spannungsfeld, das gerade junge und kreative Köpfe suchen, aber mit unserem Existenzgründerzentrum ELAN und der Europäischen Medien- und Eventakademie haben wir die Infrastruktur, um auch auf diesem Gebiet künftig neue Akzente setzen zu können. Hier setze ich auf unsere neue Kooperation mit dem Cyberforum,  mit der es gelingen sollte,  in diesem Bereich eine Brücke nach Karlsruhe zu schlagen und eine aktive lokale Gründerszene ins Leben zu rufen. Weitere wichtige Themen sind die Fachkräftesicherung, die langfristige Sicherung unserer kurstädtischen und kulturellen Infrastruktur, das Gelingen der Energiewende auf lokaler und regionaler Ebene mit intelligenten intermodularen Vernetzungen und der Ausbau bestehender Kooperationsnetzwerke innerhalb der Region.
    
    
  
Welches sind die wichtigsten Wirtschaftsfaktoren Ihrer Stadt? Wie wirken sich beispielsweise der internationale Tourismus und der Kurbetrieb auf die hohe Attraktivität des Wirtschaftsstandortes aus?
 
Mit dieser Frage wird natürlich ein ganz zentraler Punkt im Selbstverständnis der Stadt, aber auch der Wirtschaftsförderung angesprochen. Ich möchte es so formulieren: die Interessen der Stadt stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der internationalen Tourismusstadt und den Interessen des Gewerbestandortes. Die Herausforderung besteht darin, beiden Interessenslagen nicht nur ihre Berechtigung zu geben, sondern sie vielmehr in einem synergetischen Zusammenspiel für die gesamtstädtischen Interessen bzw. für das Wohl unserer Bevölkerung zu nutzen. Das ist uns in der Vergangenheit sehr gut gelungen.  Wirtschaftsstandort und  Wohnort profitieren beide von vielen Attributen der Kultur- und Bäderstadt und gewinnen somit auch an Attraktivität für Unternehmen und Fachkräfte; andererseits sind die Gewerbesteuereinnahmen eine wichtige Voraussetzung, um die Infrastruktur einer internationalen Tourismusstadt aufrecht erhalten zu können. Der Tourismus – und somit die Hotellerie, die Gastronomie, der Einzelhandel und die vielfältigen touristischen und kulturellen Angebote -  sind nach wie vor wichtige Faktoren unseres Wirtschaftslebens. Aber eben nicht nur. Dienstleistungen, insbesondere Finanzdienstleistungen,  international agierende Produktionsbetriebe - nicht nur im pharmazeutischen und  kosmetischen Bereich - und ein breitgefächertes Handwerk,  stehen mit gleicher Bedeutung daneben.

  

  

Baden-Baden gilt als die beliebteste Touristenstadt Baden-Württembergs. Über  976.000 Übernachtungen kamen im vergangenen Jahr an die Oos, über 363.000 davon aus dem Ausland. Reichen die Hotelkapazitäten aus?

Die Frage kommt leichter daher als sie ist. Das Vorhalten ausreichender Hotel- und Bettenkapazitäten ist nicht abhängig von statischen Rahmenbedingungen, sondern ergibt sich aus einem dynamischen Zusammenspiel ganz verschiedener Faktoren: das Marketing, insbesondere die Frage, welche Zielgruppen wollen wir bewerben, saisonale Schwankungen, die Einkommensverhältnisse bzw. die wirtschaftliche Entwicklung, ja sogar die weltpolitische Lage, haben direkte oder mittelbare Auswirkungen auf das richtige Angebot und Nachfrage-Verhältnis. Durch Neubauprojekte und Renovierungsmaßnahmen in einzelnen Häusern wird das Angebot künftig ergänzt bzw. verbessert werden. Dabei ist wichtig, dass dies zu keinem ungesunden Verdrängungswettbewerb führt, sondern dass zusätzliche Angebote für neue Zielgruppen beworben werden.

  

  

Gibt es aus wirtschaftlicher Sicht Bereiche, die Sie gerne in Baden-Baden ansiedeln würden?

Der breitgefächerte Branchenmix ist durchaus eine Stärke unserer Stadt. Das macht uns weitgehend unabhängig von branchenspezifischen Schwankungen und Einbrüchen. Trotzdem sehe ich natürlich bestimmte Branchen, die wir gerne noch stärken bzw. ergänzen würden. Ich denke dabei insbesondere an den gesamten IT-Bereich, der hier in Baden-Baden noch schwach vorhanden ist und setze dabei auf unsere neue Kooperation mit dem Cyberforum. Im Medien- und Kreativbereich sind wir präsent, trotzdem müssen wir versuchen durch zusätzliche Ansiedlungen bzw. Neugründungen diesen Bereich langfristig zu sichern und zu stärken. Hier setze ich auf die Attraktivität des SWR, der durchaus eine Magnetwirkung auf Medienfirmen entfaltet. Gleiches gilt für die Branchen Pharmazie, Kosmetik und Finanzdienstleistungen, in denen wir auf vorhandene Strukturen aufbauen können.

    

  

Wie sehen sie die Position der Kurstadt innerhalb des Wirtschaftsstandortes?

Baden-Baden hatte im vergangenen Jahr Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von rund 50 Mio. Euro, Einnahmen, die uns nicht aus dem kurstädtischen Bereich, sondern von unseren Produktions- und Dienstleistungsunternehmen zuflossen. Gleichzeitig haben wir derzeit rund 200 Hektar besiedelte Gewerbeflächen und für unsere Zukunft zusätzliche Flächenpotentiale, um die uns viele Städte vergleichbarer Größe beneiden.  Was ich damit sagen will: die Reduktion unserer Stadt auf eine Kurstadt ist anachronistisch und spiegelt schon längst nicht mehr die Realität. Wir sind eben eine internationale Kur- und Bäderstadt und ein attraktiver Wirtschaftsstandort mit überregionaler Bedeutung. In dieser Doppelrolle sehen wir uns innerhalb der TechnologieRegion. In beiden Bereichen können und wollen wir zur Stärkung der Region beitragen und an der Erreichung der regionalen Ziele mithelfen.

    

  

Wie schätzen Sie die TechnologieRegion gegenüber anderen starken Regionen im Südwesten ein?

Die TechnologieRegion zählt zu den stärksten Regionen im Südwesten. In vielen Bereichen haben wir mit der Wirtschaftsregion Stuttgart gleichgezogen, in einigen Bereichen sehe ich uns durchaus sogar vorn. Das bestätigen uns auch viele Rankings, die uns nicht nur in einem regionalen bzw. nationalen sondern in einem internationalen Kontext bewerten. Mit dem KIT und dessen Forschungskompetenzen spielen wir gerade im IT- und Informatik-Bereich eine internationale Rolle. Diesen Stand wollen wir nicht nur halten, sondern weiterhin verbessern. Um dies zu erreichen, ist es auch notwendig die organisatorischen Strukturen der TechnologieRegion immer wieder zu hinterfragen und den Herausforderungen anzupassen. Gerade jetzt befinden wir uns in einem solchen Prozess.

   

  

Wie hat sich der Wechsel von Karlsruhe nach Baden-Baden auf ihr persönliches Leben ausgewirkt? Was hat sich in Ihrem Tagesablauf verändert?

Karlsruhe ist ein pulsierendes Oberzentrum mit großstädtischer Vielfalt. Terminfülle und Verantwortung waren dort schon sehr groß. Allerdings hat die unmittelbare Legitimation durch den Bürger nochmals eine andere Qualität. Die Erwartungshaltung der Bürger an einen unmittelbar gewählten Volksvertreter ist noch höher. Die damit verbundene Verantwortung spüre ich. Persönlich fühle ich mich hier sehr wohl, fühle mich an- und aufgenommen. Ein Wermutstropfen ist ganz sicherlich die fehlende Zeit, um die vielen Möglichkeiten dieser Stadt auch privat voll genießen zu können.
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