Werte durch Vorleben vermitteln

Gespräch mit dem Journalisten und Autor Ulrich Wickert über Familienbetriebe, Werte und alte Tugenden

Ulrich Wickert
ist ein deutscher Journalist und Autor. Er wurde 1942 in Tokio geboren und wuchs in Heidelberg und Paris auf. Wickert lebt in Hamburg, war über 15 Jahre lang als Moderator bei der ARD-Nachrichten-Sendung „Tagesthemen“ tätig und machte sich durch seine zahlreichen Buchveröffentlichungen und Artikel in Zeitschriften einen Namen.

Wie unterscheiden sich Familienbetriebe von großen Konzernen?
Wickert: Ich habe bei meinen Vorträgen viele Kontakte mit Mittelständlern und bin immer wieder überrascht, mit welcher Kraft und mit welchem Erfolg diese auch im internationalen Maßstab aktiv sind. Deutsche Familienbetriebe sind in dieser Art einzigartig auf der Welt: Erfolgsorientiert und dennoch achten eigentümergeführte Unternehmen ganz anders auf ihre Mitarbeiter als manche Konzerne. Ich habe großen Respekt vor dem Mittelstand.

Können althergebrachte Tugenden überhaupt noch sinnstiftend für eine moderne zivile Gesellschaft wirken?
Wickert: Ja, Tugenden sind modern wie nie. Sie entstehen aus der Einsicht und ändern sich ständig aus neuen Erkenntnissen, die wir im Zusammenhang mit der Gesellschaft machen. Die wichtigsten politischen Werte einer republikanischen Gesellschaft, deren Ursprung in der Menschenwürde liegt, sind immer noch die der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Freiheit ist ein genau so wichtiger Wert wie Frieden oder Individuum, doch stehen ihnen in ihrer moralischen Bedeutung Gerechtigkeit, wie wir heute die Gleichheit nennen würden, und die Solidarität, die sich aus dem Begriff der Brüderlichkeit entwickelt hat, nicht nach. Die beiden letzten Werte lassen sich auch als Tugenden bezeichnen. Leider hat sich in der Öffentlichkeit eingebürgert, Moral als überholte Bezeichnung, Tugend als verstaubt und Pflicht als out zu betrachten.

Wie lassen sich Werte wie Zivilcourage, Toleranz, Gerechtigkeit oder Solidarität im täglichen Leben mit Inhalt füllen?
Wickert: Der Inhalt der Werte ist durch unser Handeln geprägt. Vielfach gelingt das durch das Vorleben von Vorbildern.

Warum lieben Sie Frankreich so sehr?
Wickert: Frankreich ist eine Teilheimat. Ich bin im Alter von 13 bis 16 Jahren in einem Vorort von Paris zur Schule gegangen. Das hat sicherlich den Kern meiner Beziehung zu Frankreich gelegt, weil ich da gelernt habe, die Sprache sehr gut zu sprechen. Als ich beim Fernsehen anfing, wurde ich deshalb nach Belgien mitgenommen, weil ich Französisch konnte. So ging das auch weiter, bis ich Korrespondent in Frankreich wurde. Ich wollte immer herausfinden, warum die Franzosen anders sind, und nicht nur einen Zustand beschreiben. Davon abgesehen bin ich auch gerne im Winter in Südfrankreich, weil es dort länger hell ist als in Hamburg.

Lässt sich in zwei Sätzen sagen: Was unterscheidet die französische Lebensweise von der deutschen?
Wickert: Das lässt sich wirklich nicht in zwei Sätzen sagen. Ich habe schon mehrere Bücher über die Franzosen geschrieben, um den Deutschen Frankreich zu erklären, und sie wissen es immer noch nicht. Also werde ich noch weitere Bücher über Frankreich schreiben müssen.

Was schätzen Sie am Europa-Park?
Wickert: Da hat die ganze Familie Vergnügen – und so viel, dass man immer wieder kommen muss. Das soziale Engagement und der Einsatz für die Kultur der Unternehmerfamilie Mack sind außerordentlich und damit auch Vorbild für viele andere Mittelständler in Deutschland.

Fühlen Sie sich als Europäer?
Wickert: Nur ganz selten. In Deutschland sind wir Bayern, Rheinländer oder Hamburger, in Europa sind wir Franzosen, Italiener oder Deutsche. In Amerika, da werden wir vielleicht als Europäer wahrgenommen – und fühlen uns dann so.

Sie sind selbst in vielen Projekten sozial engagiert. Warum ist Ihnen das wichtig?
Wickert: Als junger Student hatte ich das große Glück, ein Stipendium für das Studium in den USA zu erhalten. Dort regierte der Präsident John F. Kennedy. Und er sagte in seiner Antrittsrede: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann. Frag, was du für dein Land tun kannst.“ Und ich habe in Amerika dann erlebt, dass jeder Student wusste: Er ist für sich und sein Leben verantwortlich, aber auch für die Gemeinschaft. Und diesen Satz habe ich nie vergessen, er ist mir ein Lebensmotto.