Unternehmen müssen soziale Ziele verfolgen

Gespräch mit dem langjährigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble über Werte für die nächste Generation & die soziale Marktwirtschaft

Was können Familienunternehmen besser als börsennotierte Konzerne?
Wolfgang Schäuble: Im internationalen Vergleich zeichnet sich die deutsche Wirtschaft durch eine große Vielfalt aus, die gleichermaßen von großen börsennotierten Unternehmen und vielen sehr erfolgreichen Familienunternehmen geprägt wird. Beide sind für unseren Erfolg unverzichtbar.
Was Familienunternehmen, wie beispielhaft das Unternehmen der Familie Mack, in ihrer Mehrzahl besonders auszeichnet, ist die enge persönliche Verbundenheit zu der Region und ihren Mitarbeitern. Natürlich müssen sich auch Familienunternehmen fortlaufend hinterfragen und neu erfinden, um im Wettbewerb zu bestehen. Der Antrieb vieler, insbesondere auch persönlich haftender Unternehmer, ist dabei von dem Wunsch gekennzeichnet, Werte auch für die nächste Generation zu schaffen. Dies erfüllt die soziale Marktwirtschaft mit Leben und hat unser Land im besten Sinn geprägt.

Wie sehen Sie den sozialen Aspekt? Was muss die Wirtschaft für die Gesellschaft im sozialen Bereich leisten, was kann sie leisten?
Schäuble: Dass Unternehmen mehr Verantwortung tragen, als das bloße Erzielen möglichst hoher Gewinne, ist heute allgemein anerkannt. Oder, um es mit dem CEO des weltgrößten Investmentfonds zu sagen: Nachhaltigkeit rückt in den Mittelpunkt. Das bedeutet, dass alle Unternehmen neben originär wirtschaftlichen auch soziale und ökologische Ziele verfolgen müssen, um ihr Geschäftsmodell nicht langfristig zu gefährden. In sozialer Hinsicht heißt das in erster Linie, Beschäftigung und Einkommen zu sichern, Mitarbeiter zu qualifizieren und attraktive Ausbildungsplätze anzubieten. In ökologischer Hinsicht steht sicher die Bekämpfung des Klimawandels an erster Stelle. Hier kann es sich kein Unternehmen mehr leisten, nur auf andere zu zeigen. Und das ist nicht nur ein Appel, sondern ein Gebot unternehmerischer Vernunft, wie zahlreiche Beispiele von Unternehmen zeigen, die unter dem Druck einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit zunächst Vertrauen und dann substantielle Marktanteile verloren haben

Wo ist die Grenze zur ureigenen Aufgabe des Staates?
Schäuble: Die Rolle des Staates ist Gegenstand lebhafter politischer Diskussion. Nach klassischer liberaler Definition ist der Staat in erster Linie verantwortlich, den regulatorischen Rahmen für fairen Wettbewerb zu setzen und auf die Einhaltung der Spielregeln zu achten. Dies ist für mich unverändert aktuell. Aber das heißt nicht, dass sich die Rolle des Staates in der eines Nachtwächters erschöpfen kann. Denn auch wenn die Innovationskraft der Unternehmen jeder staatlichen Planung überlegen ist, so gibt es Bereiche, in denen staatliche Starthilfe sinnvoll ist. Ich denke da zum Beispiel an den Bereich der Wagniskapitalfinanzierung für Start-up-Unternehmen oder die Förderung beim (Wieder-)Aufbau einer europäischen Chip- oder Batterieindustrie.
Ansonsten sollte sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentrieren, das heißt vor allem, seinen Fokus auf eine exzellente Infrastruktur und Bildung legen. An keiner anderen Stelle kann mit Steuergeld mehr für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden.

Haben Familienunternehmen von vornherein meist ein anderes Wertegerüst als Konzerne?
Schäuble: Auch wenn Verallgemeinerungen immer schwierig sind, zeichnet die meisten Familienunternehmen aus, vorausschauend zu planen und in Generationen zu denken. Gleichzeitig stehen auch Familienunternehmen mmer wieder vor erheblichen Herausforderungen nicht nur im Wettbewerb, sondern auch im Eigentümerkreis. Ein gemeinsames Wertegerüst ist daher unverzichtbar, um ein Familienunter nehmen auch in der nächsten Generation fortzuführen beziehungsweise widerstreitende Interessen frühzeitig und fair aufzulösen, damit das Unternehmen und seine Beschäftigten einen Schaden nehmen.

Wie beobachten Sie das soziale Engagement von mittelständischen Unternehmen, wie beispielsweise des Europa-Park?
Schäuble: Ich kenne eine große Zahl von Familienunternehmen, die sich mit großem finanziellen Engagement und sozusagen auch aus Überzeugung des Herzens sozial engagieren. Oftmals wird das gar nicht an die große Glocke gehängt. Das gilt auch für die Unternehmerfamilie Mack. Allein mit der Aktion „Frohe Herzen“ wurden im Laufe der Jahre fast zwei Millionen benachteiligte Menschen, beispielsweise Jugend-, Senioren- oder Behindertengruppen, ein Besuch des Europa-Park ermöglicht. Das ist ein erheblicher Kostenfaktor, der aber gleichzeitig weit mehr als Geld ist. Dies zeigt, dass es der Familie Mack ein Herzensanliegen ist. Und noch ein Aspekt: Mit sozialem Engagement ist oft eine Initialzündung auch für andere Förderer verbunden. Zum Beispiel beim Verein „Kinderherzen retten“ am Universitätsklinikum Freiburg sind durch das Engagement des Europa-Park eine ganze Reihe weiterer Firmen als aktive Unterstützer gewonnen worden. Dafür bin ich sehr dankbar.

Sie selbst sind einer der ganz großen Wegbereiter für Europa, was funktioniert im kleinen Europa-Park besser als im großen Europa?
Schäuble: Das beginnt ja bei den Besuchern. Die Nachbarn aus Frankreich und aus der Schweiz zählen ja zu den stärksten Besuchergruppen im Europa-Park. Der Park mit seinen vielen Dörfern – wie viele sind es jetzt?

Herr Schäuble, wie schätzen Sie den Europa-Park heute ein?
Schäuble: Ich bin jedes Mal aufs Neue fasziniert. Das ist ein Riesenerfolg geworden. Die große Kunst ist doch, dass die Menschen – also knapp sechs Millionen – jedes Jahr wiederkommen. Also, es muss ja ständig neue Attraktionen geben. Für viele Besucher, egal welchen Alters, ist es ja ganz toll, immer wieder in den Park zu kommen. Das ist das eine. Das andere, was auffällt, bei diesem Wachstum: Es ist immer sauber im Europa-Park. Man spürt das auch, wenn man mit Roland Mack durch den Park geht, auch früher mit seinem Vater. Wenn da irgendwo ein Papierchen gelegen ist, wurde das sofort aufgehoben. Und zwar natürlich vom Chef selbst. So ist Roland Mack heute noch. Nur so kann man verstehen, wie ein Park in dieser Qualität, Quantität und technischer Innovation wachsen konnte. Es können noch so viel Besucher sein, dennoch hat man immer ein gutes Gefühl im Park. Das ist schwer zu erklären. Wenn sonst an einer Stelle sehr viele Menschen auf einem Fleck sind, sind diese oft leicht gereizt, im Europa-Park herrscht eine unglaublich entspannte Atmosphäre. Wenn man durch die verschiedenen Restaurants geht, da ist keiner ungeduldig. Das ist schon toll: Bei diesem riesigen Erfolg und Wachstum diese Zuverlässigkeit und Freundlichkeit zu bewahren. Und wenn man noch die Familiengeschichte kennt: Zwei Brüder mit ihren Frauen und jetzt wieder mit ihren Kindern managen diesen Betrieb. Da gehört schon viel dazu, solch ein Unternehmen auch zusammenzuhalten, das ist eine Riesenleistung ...

  Roland Mack und Wolfgang Schäuble im Deutschen Bundestag in Berlin.

Die Menschen kommen zur Freizeit hierher, erfahren aber zugleich viel mehr über Europa als aus den Medien oder in der Schule. Hier lebt Europa spielerisch. Da treffen sich junge Menschen, Familien aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen, und alle freuen sich. Das ist gelebtes Europa. Übrigens bis zu ganz neuen Perspektiven, wenn man wie im Hubschrauber im Voletarium über Europa fliegt. Das ist schon fantastisch. Da ist das richtige Europa viel komplizierter. Da passt es ja gut, dass der Aachener Vertrag der Grenzregion eine große Aufmerksamkeit widmet. In der deutsch-französischen Freundschaft, wie sie hier gelebt wird, steckt eine große Chance. Das sehen auch die Regierungszentralen in Paris und Berlin. Es ist grundfalsch, Französischunterricht in der Grenzregion abzubauen. Die Jungen können sich nicht nur auf Englisch unterhalten, sondern sie müssen die Sprache des Nachbarn verstehen

Wolfgang Schäuble
war von 2017 bis 2021 Präsident des Deutschen Bundestages. Er ist in Freiburg geboren und wuchs im Kinzigtal auf, zurzeit lebt er in Offenburg. Schäuble ist der dienstälteste Abgeordnete im Bundestag und übte zahlreiche Ministerämter in verschiedenen Bundesregierungen aus.