Schönster Turm auf Erden

Das Freiburger Münster hat eine erstaunliche Geschichte / Spektakuläre Sanierung des Westturms über zwölf Jahre

Freiburg und sein Münster gehören einfach zusammen. So ist es seit 700 Jahren, als um 1330 der berühmte Westturm fertiggestellt wurde. Daran konnte nicht einmal der Zweite Weltkrieg etwas ändern. Obwohl die Freiburger Altstadt bei einem schweren Luftangriff 1944 zu mehr als 80 Prozent zerstört wurde und auch die meisten Häuser am Münsterplatz verwüstet waren, blieb das Münster wie durch ein Wunder inmitten des Infernos stehen. Selbst der hochaufragende Westturm war erhalten geblieben.

Allerdings muss an der Kirche immer gearbeitet werden: Solche Bauten, die für die Ewigkeit gedacht sind, wären ohne fortwährende Rekonstruktionen dem Verfall preisgegeben. Dem Erhalt des Freiburger Münsters widmet sich seit 1890 der Münsterbauverein. Besonders ab 2006 stand er vor einer heiklen Herausforderung: Das Ausbessern schadhafter Steine und filigraner Zierelemente sowie die Restaurierung von Maßwerken und Figuren sind Routine, aber damals hatten Experten festgestellt, dass die luftig konstruierte 40 Meter hohe Turmspitze, der „Turmhelm“, gefährdet war. Der Freiburger Münsterturm ist der einzige Turm einer Kathedrale, der tatsächlich vollständig im Mittelalter gebaut wurde. Alle anderen, wie die Türme in Ulm oder Köln, waren erst im 19. Jahrhundert fertig. „Auch die filigrane Konstruktion ist einmalig“, erklärt Yvonne Faller, von 2005 bis 2020 Münsterbaumeisterin. Die Turmspitze fasziniert als luftiges Steinmosaik mit offenen Feldern.

Einst eines der höchsten Gebäude der Welt
Inzwischen ist der Westturm längst wieder auferstanden. Oder prosaisch ausgedrückt – er wurde 2018 von einem Korsett befreit, das den Turmhelm zwölf Jahre lang für die Sanierung nahezu verhüllte. Seither strahlt er wieder als „schönster Turm auf Erden“, wie ihn der Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt (1818-1897) nannte. In normalen Zeiten ist er ein Besuchermagnet, mehr als 110.000 Besucher steigen jährlich die 330 Stufen hinauf. Nach seiner Fertigstellung gehörte der Freiburger Münsterturm mit seinen 116 Metern sogar über ein Jahrhundert lang zu den höchsten Gebäuden der damaligen Welt. 

Der Weg zu Gott
Der Kirchturm ist beladen mit Symbolik. Beispielsweise steht  die Transparenz des Steins womöglich für den Weg der Seele zu Gott, die Durchdringung der Materie zu seinem Geist. Für die Münsterbauhütte stehen allerdings die bautechnischen Aspekte im Vordergrund. Wie der Westturm im mittelalter nur anhand grober Pläne, ohne detaillierte Berechnung, überhaupt gebuat werden konnte, erschint heute rätselhaft. „Mein Respekt vor unseren Vorfahren ist riesig", sagt Yvonne Faller. „Sie verwendetenzum Beispiel Schmiedeeisen, das weniger rostanfällig ist als Stahl." Auch der Holzdachstuhl des Münsters ist für die Architektin ein Muster für nachhaltiges Bauen. „Das Holz wurde 1258 geschlagen und sieht noch aus wie neu", erklärt sie. 

Helikopter scannte Steine
Bereits zwei Jahre vor Beginn der Sanierung war für den gesmten Turmhelm mit seinen etwa 2.000 Steinen ein exaktes Computerbild erstellt worden, unter anderem mit der Hilfe eines Helikopter. Jeder Stein wurde eingescannt. Der beachtliche Befund: Mehr als 80 Prozent des heutigen Bestands stammt noch aus dem hohen Mittelalter. Die letzten umfassenden Turmsanierungen hatten von 1913 bis 1922 sowie 1960 bis 1965 stattgefunden. Im Sommer 2005 stürzte jedoch eine kleine Maßwerknase auf die Besucherplattform. Eine Kontrollbegehung ergab, dass eine ganze Reihe von Steinen von zum Teil haarfeinen Rissen durchzogen oder gebrochen waren. So kam es ab 2006 zu der Sanierung durch ein Spezialteam aus 30 Steinmetzen, Restauratoren, Denkmalpflegern, Ingenieuren und Bauforschern aus dem gesamten Bundesgebiet, der Schweiz und Österreich. Ersetzt wurde dabei nur das unbedingt Nötigste, insgesamt waren es 121 Steine und 225 Teilstücke. Die Münsterbauhütte fertigte die neuen Steine selbst im traditionellen Steinmetzverfahren. 

Sogar Röntgen- und Radarverfahren kamen zum Einsatz, aufwendige Berechnungen wurden erstellt und lange Debatten geführt. Eine Idee sah vor, den Turm durch ein von außen sichtbares Stahlkorsett zu stützen, doch sie kam glücklicherweise nicht zum zuge. Anstelle eines großen Eingriffs gab es viele kleine, gezielte Maßnahmen. Bewiesen wurde dabei auch die perfekte Tragfähigkeit des mittelalterlichen Bausystems. Ideal waren die ursprünglichen Materialen aufeinander abgestimmt, die festgestellten Schäden resultierten vor allem aus Materialermüdung. An 16 der insgesamt 64 Ecksteinen setzten die Sanierer durch präzise Bohrungen so genannte Bandagen ein, acht Ecksteine tauschten sie komplett aus. Es waren heikle, nervenzehrende Maßnahmen, lastete doch auf jedem der Teile ein Gewicht von bis zu 40 Tonnen, das während des Ein- und Ausbaus umgeleitet werden musste. Dabei stellte sich immer wieder heraus, dass Schäden eher bei Steinen aus vorherigen Sanierungen aufgetreten waren. Die ursprünglichen Materialien waren hingegen verblüffend gut erhalten. 

Dinner-Shows im Europa-Park halfen mit
Rund 11,5 Millionen Euro kostete die Sanierung. Etwa die Hälfte der Summe wurde durch Spenden abgedeckt. Der prominenteste Spender war papst Benedikt XVI., der im Frühjahr 2007 eine Steinpatenschaft übernahm. Zu den besonders engagierten Unterstützern zählte aber die Familie Mack. Sie hat sich mit einer großzügigen Summe an den Sanierungskosten beteiligt. Insbesondere ihre Benefiz-Aktionen im Europa-Park - zahlreiche Dinner-Shows in der Vorweihnachtszeit mit exquisiten Vier-Gang-Menüs - erbrachten einen sechsstelligen Beitrag. Als Dank für die Gastfreundschaft überreichte Sven von Ungern-Sternberg, langjähriger Regierungspräsident des Regierungsbezirks Freiburg und Vorsitzender des Münsterbauvereins, Roland Mack 2014 einen 250 Kilogramm schweren Abguss eines originalen Wasserspeiers des Münsters. 

Wie Roland Mack unterstützte auch Papst Benedikt XVI. die Sanierung des Freiburger Münsterturms.

Roland Mack: „Das Münster ist emotionales Symbol unserer Heimat"
Gerade für Europa-Park-Chef Roland Mack ist das Münster eine besondere Herzenangelegenheit, auch weil er im Freiburger Elisabeth-Krankenhaus geboren wurde und sich daher als echtes Freiburger „Bobbele" bezeichnen darf: „Es ist für mich ein unglaublich beeindruckendes Bauwerk und eigentlich unfassbar, wie die Menschen damals solch ein Gebäude erstellen konnten. Mich als Freiburger „Bobbele" begleitet das Münster seit ich ein Kind war. Egal, wo ich in der Gegend bin, suche ich nach dem Münstertturm und schaue immer, ob ich ihn sehe. Das ist für mich ein sehr emotionales Symbol für Freiburg und unsere Heimat. Seit vielen Jahren unterstütze ich die Münsterbauhütte und wenn ich ein hochwertiges Geschenk brauche, nehme ich oft einen Original-Stein aus dem Münster. Auch langjährige Mitarbeiter bekommen einen Münsterbaustein."

Der Europa-Park und die Familie Mack stehen dem Münster aber nicht nur in der Zeit der herausfordernden Sanierung bei. „Das Münster war schon immer Bürgerkirche und wurde von den Bürgerinnen und Bürgern getragen. Auch heute sind wir auf Unterstützung angewiesen“, betont der Münsterbauverein. Im Europa-Park hat er einen besonders treuen Unterstützer. Seit 2010 – außer während der Corona-Zeit – wird im Rahmen der jährlichen Dinner-Show mit einer großen Gala für das Münster mit seinem schönsten Turm auf Erden gesammelt. Weit mehr als 30.000 Euro kommen dabei stets zusammen. Ein architektonischer Dauerpatient wird das Freiburger Wahrzeichen auch in Zukunft bleiben, aber die bislang wichtigste Operation hat es gut überstanden.

www.muensterbauverein-freiburg.de
Bei der Finanzierung seiner Arbeit und somit der Bauunterhaltung des Freiburger Münsters ist der Münsterbauverein auf öffentliche Zuwendungen angewiesen.