Pater Anselm Grün

"Ich umarme jeden Tag, ohne ihn zu bewerten"

Meistens rennen wir hektisch durch die Gegend, von einem Termin zum nächsten und haben kaum Zeit, in Ruhe zu essen. Pater Anselm Grün, der im Europa-Park bei seinem ehrenamtlichen Vortrag gleich die Herzen aller Zuhörer erobert, ist davon überzeugt, dass uns Rituale helfen können, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Unzählige Vorträge hat der Benediktinermönch schon vor ganz unterschiedlichem Publikum gehalten. Immer spricht er frei, mit sanfter Stimme in verständlichen Sätzen, modifiziert seine Reden und geht auf die Zuhörer ein. Er selbst beginnt jeden Tag mit einem Ritual: Um vier Uhr morgens steht Pater Anselm auf und widmet die ersten Stunden des Tages dem Gebet und der Stille. „Das ist für mich sehr wichtig und dadurch kann ich eintauchen in einen geschützten Raum, der meine Seele heilt“, erklärt dieser charismatische Mönch und ergänzt: „Rituale schaffen ein Wir-Gefühl und damit einen Raum, in dem Gefühle zum Ausdruck kommen können, die sonst kaum mitgeteilt werden. Das Wissen um verlässlich wiederkehrende Rituale schafft Vorfreude.“

Rituale stiften unserem Leben Sinn, sie befreien uns von Ängsten, sie geben uns das Gefühl, dass wir selbst leben, anstatt gelebt zu werden, meint Anselm Grün, den Marianne Mack als Gastredner für ihre ehrenamtliche Vortragsreihe „Neue Perspektiven“ gewonnen hatte. Die Spenden kommen über den Förderverein „Santa Isabel e.V. – Hilfe für Kinder und Familien“ Menschen zugute, die sich in einer besonders schweren Lebenssituation befinden. Anselm Grün hat Deutschlands größten Freizeitpark zum ersten Mal besucht und gleich 1.300 Zuhörer angelockt.

„Ich schreibe jeden Dienstag und Donnerstag von sechs bis acht Uhr.“

Der promovierte Theologe ist 1945 im fränkischen Junkershausen geboren und bei München aufgewachsen. Schon als 19-Jähriger trat er ins Noviziat der Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach ein und ist seit 1977 dort als Cellerar für die wirtschaftliche Leitung der Abtei verantwortlich. Anselm Grün ließ sich von der Psychologie Carl Gustav Jungs inspirieren und widmete sich asiatischen Meditationstechniken.Über 300 Bücher hat er bereits veröffentlicht, die in rund 30 Sprachen übersetzt sind. Mit einer Gesamtauflage von 15 Millionen Exemplaren zählt der freundliche Mönch mit seinem langen Rauschebart und der weißen Haarpracht zu den meistgelesenen christlichen Autoren. Für das Schreiben hat er auch ein Ritual: „Ich schreibe jeden Dienstag und Donnerstag von sechs bis acht Uhr.“

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Jeden Tag mit einem Ritual beginnen

Im Europa-Park rät er den gebannt lauschenden Zuhörern, jeden Tag mit einem Ritual zu beginnen: „Denken Sie morgens nicht sofort an Ihre Termine, öffnen Sie das Fenster, genießen Sie die Natur und danken Sie Gott für die vergangene Nacht.“ Er plädiert für mehr Pausen, die uns wieder zu neuer Energie verhelfen, und dazu, mindestens einmal am Tag innezuhalten. Der Tag könne mit einem Abendritual, beispielsweise einem Spaziergang oder einem Gebet, beschlossen werden, so Grün. Mit eindrücklichen Worten, bei denen keins zu viel und keins zu wenig ist, berührt er die Menschen im Innern. „Rituale sind Auszeiten, die mir gehören, wo ich aufatmen, abschalten und verarbeiten kann“, resümiert Pater Anselm.

Ute Bauermeister