Hochseilartistenfamilie Traber

Wie der Traum vom Fliegen

Er sei ein sehr sentimentaler Mensch. Das müsse man auch sein, als Artist, gesteht Johann Traber senior. Er ist in eine Artistenfamilie hineingeboren, für ihn gab es immer nur die Akrobatik auf dem Hochseil. Seit 500 Jahren ziehen Generationen von Trabers mit ihrer Artistik durch die Welt. In 40 bis 70 Meter Höhe balancieren sie heutzutage übers Seil oder überqueren es mit dem Motorrad, um am Ende noch einen ungesicherten Handstand auf der Lenkstange zu zeigen. Traber hat in zahllosen Städten immer verschiedene Schulbänke gedrückt. „Wir waren wie Paradiesvögel, für Proben wurde ich vom Unterricht befreit“, erinnert er sich. Damals war die Familie viel in Frankreich unterwegs. Ein Plakat von einem Auftritt in Angers, auf dem ein Salto Mortale ankündigt ist, hängt in dem kleinen Museum, das sich Johann Traber an seinem Wohnort im landschaftlich reizvollen Kaiserstuhl angelegt hat. Hier sind auch alte Motorräder an der Wand angebracht, mit denen die Familie ihre Weltrekorde erzielte. Der Jägerhof, sein Wohnort, ist nicht weit von Rust entfernt. „Wir treten seit 28 Jahren im Europa-Park auf. Unsere Tochter wurde dort auf dem Seil getauft, mein Sohn hatte als Sechsjähriger seinen ersten Auftritt dort“, erzählt Traber. 

 

Zu Beginn ist die Familie in Till Eulenspiegel-Kostümen am Schloss Balthasar übers Seil gelaufen, dann hat er Roland Mack vorgeschlagen, mit dem Motorrad auf dem Seil den Tower hochzufahren. „Ich habe ihm gesagt, wir bauen es auf, führen es vor, und wenn es Euch nicht gefällt, lassen wir’s. Dann kam Roland Mack mit seinen beiden Jungs und die haben Bauklötze gestaunt“, lacht Traber. Seither hat die Familie Traber regelmäßig ihre Showauftritte im Europa-Park, sei es bei der Eröffnung des Bell Rock oder als Weihnachtsmann auf dem Seil. Traber: „Ich kenne viele Freizeitparks, aber der Europa-Park ist wirklich was Besonderes. In unserer Artistenfamilie herrscht ein ähnlicher Zusammenhalt wie im Familienunternehmen Mack.“

Mit dem Trabi auf den Stuttgarter Fernsehturm

Die Trabers sind die einzigen, die Kopfstand auf dem Seil machen, ihnen ist nichts zu hoch, nichts zu weit. „Als Kind bekommst du ein Kostüm und wirst darin spielerisch auf den Platz gestellt, später heißt es dann trainieren, trainieren, trainieren“, erinnert sich Traber. Sein persönliches Highlight war die Fahrt auf den Stuttgarter Fernsehturm mit dem Trabi auf dem Seil, Handstand inklusive, versteht sich. „Sie glauben gar nicht, wie schwierig das mit den Genehmigungen ist“, berichtet er, zumal, als er die Zugspitze überqueren wollte und sowohl in Deutschland als auch in Österreich bei den Behörden anklopfen musste. Also gut, sagten die endlich, aber nur mit dem Fahrrad. Umwelttechnisch sei das Motorrad nicht mehr erlaubt. Kein Problem für Johann Traber: Gegenüber an der Wand hängt das Fahrrad, mit dem er 650 Meter in einer Höhe von 750 Meter entlang fuhr. Vier Monate hatte er sich intensiv darauf vorbereitet. Das Equipment bringt er mit, lässt es von Handwerkern montieren, die er gut kennt, überprüft alles und baut es vor Ort selbst mit seinem Team auf. „Da gehen wir kein Risiko ein“, meint Traber. Und wie ist das dann, wenn man endlich alleine so hoch oben steht? „Wie der Traum vom Fliegen und die Balancierstangen sind die Flügel“, strahlt Traber. Angst ist für ihn ein Fremdwort. Am Ende seiner Aufführung an der Zugspitze hat er noch ohne Sicherung einen Handstand auf dem Rad gemacht: „Das habe ich mir selbst geschenkt, so schnell komme ich da ja nicht wieder hin“, lacht er spitzbübisch.

Vier Einträge im Guinness Buch der Rekorde

Die meisten Zuschauer hatte er am Brandenburger Tor, das er drei Mal überquerte. 1,2 Millionen Menschen haben dabei ihre Ahs und Ohs ausgestoßen. Traber hat viel erlebt: Ein Plakat zeigt ihn umgeben von Roger Moore als James Bond, denn auch bei Kinofilmen haben die Trabers mitgewirkt. 14 Saltos hat er bei der Fahrt über die Loreley absolviert. Vier Einträge im Guinness Buch der Rekorde hat er, unter anderem als schnellster Motorradfahrer auf einem Rad übers Hochseil und für die meisten Saltos. Fallschirmspringen würde er jedoch niemals: „Ich gehe doch kein unnötiges Risiko ein“, behauptet der mutige Mann schon fast empört, der in 750 Meter Höhe auf einem dünnen Seil seine Kunststücke vollbringt. Auch seine Kinder Anna und Katharina treten mit ihrer Akrobatik gemeinsam mit dem Vater auf und haben es von der Pike auf gelernt. Jetzt allerdings ist die Älteste schwanger, Traber hat ihre Arbeitsschuhe schon an den Nagel gehängt. „Von meinen Töchtern verlange ich nicht, dass sie weitermachen. Sie wollen ihre eigene Familie gründen, das ist verständlich. Aber von meinem Sohn hätte ich erwartet, dass er weitermacht. Ich habe doch nur den einen“, ergänzt er traurig. Das Schicksal hat es nicht immer gut gemeint.

Quelle: YouTube

Wenn mein Sohn überlebt, baue ich eine Kapelle"

2006 waren die Trabers zur Einweihung des neu gestalteten Jungfernstiegs nach Hamburg gereist. Als Johann Traber junior auf dem Mast stand, knickte dieser ein. Der Artist hing, nur an einem dünnen Seil gesichert, schwer verletzt über dem entsetzten Publikum. Johann Traber kletterte sofort hoch zu seinem Sohn: „Ich habe gebetet und Gott angefleht, er solle mir ja meinen Sohn nicht nehmen. Wenn mein Sohn überlebt, baue ich eine Kapelle“, erinnert sich ein sichtlich bewegter Vater. Sechs Monate lag Traber junior im Koma und wurde immer wieder operiert. Viel Hoffnung machten die Ärzte der Familie nicht. Er hat überlebt und sogar sein Comeback als Artist im Europa-Park gefeiert. Dennoch wird nichts wie vorher, der 29-Jährige muss sich ohne Hochseil neu orientieren. Sein Vater betet still in der Kapelle, die er aus Dank neben sein Haus gebaut hat. Auf dem Anwesen hat sich Johann Traber auch einen Rückzugsort eingerichtet. „Ich liebe Ritterlichkeit, das Wort, das man gibt und hält“, erklärt Traber und zeigt auf eine lange Tafel und die glänzenden Pokale im Schrank. Hier hört Traber Musik und schmiedet Pläne. Die zweite Etage des Eiffelturms möchte er gerne noch machen und in die Flamme der Freiheitsstatue fahren, davon träumt er und seine blauen Augen beginnen zu funkeln, wenn er davon spricht.

Ute Bauermeister