Ein Plädoyer für Fantasie

Die magische Welt von Michael Ende

Büste von Michael Ende am Eingang zur neuen Jim-Knopf-Attraktion

Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein. Aus diesem berühmten ersten Satz wurde ein Kinderbuch-Bestseller. Das Land: Lummerland – die Heimat von Jim Knopf, Lukas und einer Lok namens Emma. Deren Abenteuer sind bis heute Kult und fehlen in keinem Kinderzimmer. Jim, ein dunkelhäutiger Junge, der als Waisenkind auf der kleinen Insel Lummerland landet, wird zusammen mit seinem Freund Lukas dem  Lokomotivführer in große Abenteuer verstrickt. Bevor die Hauptdarsteller jedoch zu ihrer Abenteuerfahrt aufbrechen konnten, war es für den Autor des Kinderbuches, das in den letzten 60 Jahren millionenfach verkauft wurde, ein langer Weg. Kein Verlag hatte anfangs Interesse an dem Manuskript. „Viel zu dick für ein Kinderbuch!“ waren sich die Lektoren einig und bezweifel- ten, dass ein schwarzer Junge als Kinderbuch-Held taugt. Der Thienemann Verlag machte schließlich aus dem 500 Seiten starken Werk zwei Bände. Der Erfolg von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ und „Jim Knopf und die Wilde 13“ war enorm. Ein Glücksfall für den finanziell angeschlagenen Theaterautor und Filmkritiker Michael Ende aus Garmisch-Partenkirchen, der zu dieser Zeit kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Über Nacht wurde er zum Bestsellerautor. Die Inszenierung von Jim Knopf im Marionettentheater „Augsburger Puppenkiste“ in den sechziger und siebziger Jahren machte den Stoff auch im Fernsehen berühmt. Fast 60 Jahre später erobert Jim Knopf jetzt auch die Kinoleinwand.

Bereits mit 15 Jahren schrieb der gelernte Schauspieler Ende Gedichte und kleine Erzählungen. Lange bevor Harry Potter auf die Bildfläche kam, schuf er Fantasiewelten, mit denen Kinder und Erwachsene in eine andere Welt abtauchen können. In Deutschland brachten ihm seine Werke jedoch zunehmend Kritik ein. Man warf dem Schriftsteller vor, die reale, grausame Welt zu rosarot zu malen. Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki behauptete sogar, das Werk Michael Endes sei ihm nicht bekannt. „Ein Aufbruch ins Reich der Träume war in Zeiten des Kalten Krieges und der Aufrüstung unerwünscht in Deutschland“, schreibt Endes Freund und Lektor Roman Hocke in seinem Buch „Magische Welten“. Für Michael Ende jedoch war Fantasie keine Flucht, „sondern ein Mittel, den Problemen der Außenwelt zu begegnen“, so Hocke. Enttäuschtsetzte sich Michael Ende nach Italien ab, schrieb dort den Märchenroman „Momo“, „Die unendliche Geschichte“ und diverse Opernlibretti. Die kritischen Stimmen konnten seinen Erfolg jedoch nicht aufhalten. Michael Ende avancierte zu einem der meistgelesenen Kinder- und Jugendbuchautoren. Die Veröffentlichung seines Romans „Die unendliche Geschichte“ brachte ihm Weltruhm ein. Kinder – und viele Erwachsene – auf der ganzen Welt haben den Roman regelrecht verschlungen. Mehr als 40 nationale und internationale Auszeichnungen, darunter der Deutsche und der Europäische Jugendbuchpreis sowie der italienische Kulturpreis, belegen das.

Insgesamt verkauften sich seine Bücher über 30 Millionen Mal. Und seine Geschichten haben bis heute nichts von ihrem Zauber verloren. Zeichentrickfilme, Fernsehserien, Opern, Musicals, Puppentheater, Hörspiele und aktuell der neue Kinofilm halten Michael Endes Geschichten und Figuren lebendig. Bis heute liegen noch zahlreiche unveröffentlichte Theaterstücke des Autors in den Schubladen des Literarturarchivs in Marbach. Der Schriftsteller starb 1995 an einem Krebsleiden. Nach dem Erscheinen von „Jim Knopf“ schrieb die Welt: „Nach dem Buch waren wir alle ein bisschen bessere Menschen.“ Michael Ende hat sich nicht nur in Millionen von Kinderherzen eingebrannt, er hat ihnen auch etwas ganz Wichtiges vermittelt: zu träumen.

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Drei Fragen an Roman Hocke, Lektor und Freund von Michael Ende

Michael Ende gilt als Wegbereiter der deutschen Fantasyliteratur. Was macht die Faszination seiner Werke aus?
Roman Hocke: In Michael Endes Geschichten findet jeder Leser seinen eigenen Zugang. Der eine schätzt das freie Spiel mit der Phantasie, die abenteuerlichen Handlungen und die surrealen Figuren. Andere lieben die mit viel Poesie eingewobenen Erfahrungen und Betrachtungen zu unserer eigenen Wirklichkeit, die uns zu Herzen gehen.

Das Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“stammt aus dem Jahr 1960. Warum ist das Buch immer noch so aktuell?
Hocke: „Jim Knopf“ war Michael Endes erster Roman. Ein befreundeter Graphiker fragte ihn, ob er nicht einen Bilderbuchtext für ihn schreiben wolle. Ohne Hintergedanken begann er zu schreiben und folgte neugierig und mit einer erstaunlichen Offenheit dem Faden, den er sich selbst in den ersten Seiten ausgelegt hatte. Alles, was Michael Ende damals ausmachte, ist völlig absichtslos in die Geschichte eingeflossen – sein Wissen, sein Charme, sein Weltbild, sein Witz, seine Phantasie, seine Werte. Und vielleicht ist es gerade das, was die Geschichte so wertvoll macht.

Hätte es Michael Ende gefallen, dass seine Lokomotive im Europa-Park ihre Runden dreht?
Hocke: Da bin ich mir sicher. Welcher Autor freut sich nicht darüber, dass seine Figuren, die er sich in mühevollen Stunden wie Spinnfäden aus dem Gehirn gezogen hat, plötzlich real in der Welt stehen und Jung und Alt Freude bereiten.

„Bitte einsteigen, Jim Knopf ist da!“

Schauspieler Henning Baum mit Geschäftsführer Michael Mack bei der Premierenfahrt der Lummerland-Bahn.

Da geriet sogar Schauspieler Henning Baum, den man sonst eher als Gangster-Jäger kennt, ins Schwärmen. Ganz, wie es sich für einen Lokführer gehört, nahm der Frauenschwarm mit seiner Mütze auf dem Kopf in der neuen Bahn „Jim Knopf und die Reise nach Lummerland“ Platz. „Eine sehr süße Fahrt – nicht nur für Kinder“, schwärmt der prominente Lokführer, der gemeinsam mit Geschäftsführer Michael Mack einige Runden im schnaubenden Dampfross drehte und ein Kenner in Sachen Lummerland ist. Henning Baum, der im erfolgreichen neuen Kinofilm „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ den bärtigen Abenteurer Lukas spielt, verlässt die Bahn mit einem Strahlen im Gesicht. „Das nächste Mal bringe ich die ganze Familie mit“, versprach er. Die Fahrt über die Insel mit den zwei Bergen hat es ihm sichtlich angetan. Auch vom VR-Coaster „Alpenexpress Coastiality“ war er hellauf begeistert: „Ich bin überwältigt!“, sagte er nach der Fahrt durch das neue VR-Abenteuer „Alpha Mods PD“.

Bitte einsteigen! „Hallo Freunde, unsere gute alte Dampflok Emma nimmt euch mit auf eine Rundfahrt durch die Insel Lummerland. Das wird ein Riesenpaß!“, verspricht eine Stimme, kaum haben die Gäste auf ihren Sitzen Platz genommen. Sie stammt von Jim Knopf, der Hauptfigur aus dem Kinderbuchklassiker von Michael Ende. Dann geht’s los: Die Zylinder füllen sich mit Dampf, es pfeift und zischt ganz ordentlich. Schnaubend setzt sich die Lokomotive in Bewegung – vorbei an schroffen Bergen und Wäldchen, über Wiesen und durch kleine Tunnels hindurch. Keine rasante Fahrt, sondern eher beschaulich gleiten die Loks auf den Gleisen dahin. Auf der liebevoll gestalteten Insel begegnen die Fahrgäste alten Bekannten wie Jim Knopf höchstpersönlich und natürlich Lukas, dem Lokomotivführer. „Lang lebe der König!“, ruft eine Stimme und da taucht auch schon König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte auf, wie er in seinem prächtigen Thronsessel sitzt. Zwischen Dampfschwaden grüßt auf der linken Seite Herr Ärmel aus seinem Haus und im Bäckerladen von Frau Waas duftet es nach herrlich frisch gebackenem Gugelhupf. „Bitte einsteigen!“, tönt es aus den Waggons, wenn die kleinen Lokführer an der dicken Kordel ziehen, an der eine große Messingglocke hängt und dann „Aaachtung!“– schließlich kommt gleich der nächste Tunnel.

Von Ariane Lindemann

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