Ein Ort zum Träumen

Gespräch mit Barbara Siebeck

Gespräch mit Barbara Siebeck über die Faszination ihres Lebens in der tausend Jahre alten Burg Mahlberg, über den Geist ihres Mannes Wolfram Siebeck, die hohe Qualität im Europa-Park, das Sterne-Restaurant „Ammolite“ und über ein Foto von ihr, das weltberühmt wurde

Sie sind in der Künstlerkolonie Worpswede groß geworden, waren Model, haben eine erfolgreiche Galerie in Starnberg, dann in München aufgebaut, wie sind Sie eigentlich bei der „Kunst des Essens“ gelandet?
Barbara Siebeck: Durch die Bekanntschaft mit Wolfram Siebeck. Das erste, was er nach unserem Kennenlernen sagte, war: „Wir gehen jetzt gut essen.“ Er hatte sofort ein tolles Restaurant in München gefunden, wohin er mich einlud. So fing das an und ich dachte, oh, es gibt ja noch eine andere Welt ... Das hat mir imponiert. Der Mann kennt sich aus, kennt tolle Restaurants, es schmeckt super. Wolfram Siebeck hatte einen anderen Sinn fürs essen. Bevor ich ihn kannte, sind wir in Lokale und haben ein Schnitzel bestellt, am Ende war es nicht so wichtig, wie es geschmeckt hat, jetzt war das plötzlich anders. Das fand ich toll.

Das Essen hat Ihr ganzes Leben geprägt. Sie haben in sage und schreibe 49 Ehejahren mit Wolfram Siebeck vermutlich viele tausend Essen genossen und entsprechende Restaurantkritiken miterlebt. Was machen Sie heute als erstes, wenn Sie in ein Restaurant kommen? Wie wählen Sie aus?
Siebeck: Das Restaurant suche ich meist in einem Restaurantführer, am besten im Guide Michelin. Da weiß man, woran man ist. Manchmal frage ich auch Freunde. Der Blick auf die Speisekarte verrät schon sehr viel. Wenn die Karte zu groß ist, passt das nicht. Regionale Gerichte sollten dabei sein. Ich schaue auch darauf, dass es nicht allzu teuer ist und doch Qualität hat. Aber beim Lesen der Speisekarte muss einem schon das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Wie dürfen wir uns Ihre gemeinsamen Restaurantbesuche vorstellen? Haben Sie Restaurantkritiken mit Ihrem Mann gemeinsam diskutiert?
Siebeck: Am Anfang hatte ich wenig Ahnung. Siebeck musste mir ja sehr viel erklären. Das machen Männer ja gerne ... Dann wusste ich immer mehr. Wir haben verschiedene Gerichte bestellt und darüber diskutiert, was wie schmeckt. Das war ein bisschen wie in der Schule. Ich habe das gelernt und konnte es dann auch gut erklären, wenn etwas gut oder auch nicht schmeckt. Für uns Beide war das eine Erfüllung und hat Spaß gemacht.

Glücklichsein
Glücklichsein ist nichts als die Summe kleiner Freuden: Das erste Glas Riesling an einem Sommerabend.
Eine Frau lieben, die die Liebe erwidert.
Ohne Stau von Hamburg nach Basel fahren.
Slim Gaillard hören.
Freunde anrufen und es ist nicht besetzt.
Im Engadin auf einer blühenden Wiese liegen.
Paris im Oktober.
Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte an das Gute im Menschen glauben. Zeit haben, zu lesen.
Nichts hören, nichts sehen, nichts glauben, was Autoritäten verkünden. Eine pochierte Poularde à l`Éstragon.
Der Gesang der Nachtigall.
Glücklichsein ist ein Wunder.

von Wolfram Siebeck, 1928-2016

War Ihr Mann da teamfähig und hat auf Sie gehört?
Siebeck: Ja, sicher, er wollte sich ja auch nicht langweilen. Wobei wir nicht nur übers Essen geredet haben. Wir haben viel diskutiert. Später nahm er sein Tonband mit zum essen und hat da reingesprochen und das ganz professionell erfasst. Ich musste immer so tun, als ob ich ihm zuhöre, damit die anderen Leute nicht denken, der Mann redet vor sich hin ...

Was zeichnet einen guten Restaurantkritiker aus?
Siebeck: Durchhaltevermögen.

Was waren die ganz besonderen Eigenschaften, die Ihren verstorbenen Mann Wolfram Siebeck so einzigartig gemacht haben?
Siebeck: Geduld, toleranz, Begeisterung für Qualität, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und die Suche nach dem Besten ... und eine gute Leber ... das hat er durchgehalten bis zum Lebensende. Er hatte eine unglaubliche Gelassenheit den Widrigkeiten des Lebens gegenüber. Er nahm alles so hin, wie es kam, ohne zu Murren. Mit Gleichmut, wenn es nicht zu ändern war. Auch seine Toleranz gegenüber anderen Menschen war sehr ausgeprägt. Wenn das Essen schlecht war, gab es freilich wenig Toleranz ... er hat das auch gesagt, manchmal sehr hart. Wenn er schrieb, kannte er keine Gnade. Seine Kritiken konnten himmelhoch jauchzend sein oder vernichtend. Nach einem gelungenen Artikel strahlte er eine große Zufriedenheit aus, griff zum Glas und seine Welt war in Ordnung.

Wie kann man eigentlich bei so viel beruflichem Essen so schlank bleiben?
Siebeck: Wieso? Das ist veranlagung. Ich hatte da nie ein Problem. Der Siebeck hat ein bisschen zugelegt, auch weil er sich nicht viel bewegt hat. Bei mir ist es Veranlagung, ich habe weder gesund gelebt, noch Sport getrieben, ich habe viel gegessen und habe nicht zugenommen.

Warum sagen Sie eigentlich immer „Der Siebeck“?
Siebeck: Das war einfach so unser Running Gag. Mein Mann zu sagen, gefällt mir nicht so gut, Wolfram oder Wölfchen sagte seine Mutter. „Der Siebeck“ ist ein bisschen ironisch und erhöht ihn auch. Da steht er auf einem kleinen Sockel ... das macht mir auch Spaß.

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Sie schreiben heute unter anderem erfolgreiche Gartenbücher und fotografieren exzellent, was ist für Sie Kreativität?
Siebeck: Schwer zu sagen. Ich bin nicht auf Knopfdruck kreativ. Die Anregung kommt meistens von außen. Leute haben gesagt, oh, das ist ein schöner Garten, wollen Sie nicht ein Gartenbuch schreiben? Ähnlich war es mit dem Buch mit meinen Fotos. Ich bin keine Künstlerin. Ich schreibe gerne und fotografiere, aber ich empfinde das nicht als kreativen Schub.

In der Fotografie sind die Polaroidfotos Ihr Markenzeichen, warum?
Siebeck: Das entstand durch die Wochenzeitung „Die Zeit“, die mich gebeten hat, zu fotografieren. So kam ich zur Polaroidkamera.

Ihr erster Mann war der berühmte amerikanische Fotograf Will McBride. Ein Foto, das er von Ihnen als schwangere Frau gemacht hat, war damals im Jahr 1960 ein Skandal und wurde weltberühmt. Warum gab es da solch einen Wirbel um einen Babybauch?
Siebeck: Na ja, das waren die endfünfziger, da war Deutschland noch sehr prüde. eine Schwangere hatte ihren Bauch zu verstecken, dafür gab es Umstandskleider. Bei mir hat man den Bauch gesehen und dann noch diese Jeans ... Das war damals auch schon Protest gegen die spießigen Zeiten. Das war skandalös.

 

... und dann ist das Bild berühmt geworden und hängt heute sogar im Museum of Modern Art in New York ...
Siebeck: Das Foto ist Symbol für eine neue Zeit. plötzlich hatten die Mädchen mehr Mut und sagten: „Ihr könnt uns mal!“ Da fingen die 60er Jahre an.

Ihre Stiefmutter war die Sängerin und Schauspielerin Lale Andersen („Lili Marleen“), welche Erinnerung haben Sie noch an diese großartige Künstlerin?
Siebeck: Da habe ich nur ganz wenig Erinnerung. Lale war ständig auf Tour. Aber ich habe durch sie drei Halbgeschwister, mit denen ich immer einen guten Kontakt hatte.

Sie leben seit Jahrzehnten in der historischen Burg Mahlberg. Was lieben Sie an diesem Ort, was verbindet Sie mit dieser Landschaft in Baden?
Siebeck: es ist der wunderbare Blick, der über den Rhein nach Frankreich ins Elsass und auch in den Schwarzwald geht. Herrlich. Die ganze Umgebung: der gute Wein, das gute Essen, das Heitere, das schöne Wetter. Alles zusammen ist wundervoll. Als wir das gesehen haben, stand der Entschluss fest: Hier müssen wir bleiben. (Barbara Siebeck unterbricht und serviert einen leckeren Gugelhupf und dazu ein Glas Gutedel. Und das mitten am Vormittag, ungewohnt, aber extrem lecker!)

Die Burg ist ja über tausend Jahre alt ... was fasziniert daran?
Siebeck: na ja, die Tradition, das Alte. Hier waren schon die Kelten und die Römer. Steinkugeln wurden auf das Gemäuer geschossen, aber es hat standgehalten. Alte Gemäuer in einer Zeit, in der alles abgerissen und manchmal hässlich wieder aufgebaut wird. Dieser Ort, diese Burg zeigt, es geht auch in alten Gebäuden, gut zu leben, auch wenn es manchmal ein bisschen durch die Ritzen reinzieht. Ein Ort zum Träumen und zum Arbeiten. Also der Siebeck, der konnte herrlich schreiben. Er schaute rüber nach Frankreich. Das war wie ein Schub des kreativen Denkens. Eine Quelle der Inspiration.

Was schätzen Sie am Europa-Park, der ja nur wenige Kilometer entfernt ist und den Sie beim Blick aus Ihrem Fenster in voller Größe sehen können?
Siebeck: Am Europa-Park mag ich die Überraschung. Viele Leute haben eine ganz andere Vorstellung von diesem Freizeitpark. Wenn ich sage, wir wohnen in der Nähe des Europa-Park , dann sagen die Leute, ach so, wie bei Disney und ich rede dann wie eine Werbefrau des Europa-Park: nein, das ist ganz anders, voller Qualität, voller Liebe fürs Details. Das ist einfach Qualität, wie es gebaut ist, was geboten wird. Das hat mein lieber Wolfram auch so empfunden. Die Inhaberfamilie Mack gibt sich unheimlich viel Mühe. Beispielsweise die angebotenen Speisen sind sehr gut für die ganze Familie. Entertainment, Achterbahnen und gemütlich mit der Familie beim Essen sitzen, jeder findet etwas. Diese Mischung ist toll.

Sie waren damals mit ihrem Mann unter den allerersten Gästen des Restaurants „Ammolite“ im Europa-Park? Heute hat das Restaurant zwei Michelin-Sterne. Wie ist Ihr Eindruck?
Siebeck: Da kann ich nur Wolfram Siebeck zitieren: Es ist einfach exquisit. Als wir zum ersten Mal da waren, haben wir den Mund kaum zubekommen vor lauter Staunen. Ich freue mich, dass es sich so toll entwickelt hat. Wir haben damals auch andere Journalisten hergeholt. Wolfram hat nur geschrieben, weil die Qualität von Anfang an gestimmt hat. Er hätte nie aus Gefälligkeit gelobt. Niemals. Er hätte auch radikal kritisiert, wenn es ihm nicht geschmeckt hätte.

Was treibt Sie heute um?
Siebeck: Ich versuche Wolframs Erbe in Ehren zu halten, so lange ich das kann. Deshalb bin ich froh, dass ich heute noch hier in der alten Burg leben kann. Hier lebt noch der Geist von Siebeck.

Wolfram Siebeck (Mitte) in der Küche des „Ammolite“ mit Küchenchef Peter Hagen (links) und Thomas Mack (rechts).

Restaurant „Ammolite“

Zufälligerweise lief auf einem Sportkanal die Übertragung eines Eishockeyspiels Schweiz gegen Schweden. Es verwandelte die Burg in eine kreischende, jubelnde, stöhnende alte Schachtel, deren Fensterscheiben vom Gebrüll der Schweizer Zuschauer zitterten, die sich vor meinem TV-Gerät drängten. Es waren nicht wenige Eidgenossen, die ihre Landsleute anfeuerten. Dass sie sich auf meinen knarrenden Dielen versammelt hatten, geschah nicht, um die Ähnlichkeit der Eishockeyspieler mit den Rittern des Mittelalters festzustellen. Obwohl sie fast aussahen, als habe ein Burgfräulein ihnen einen Handkuss versprochen, wenn sie möglichst viele Gegner niedermachten. Leider konnte ich den Erfolg ihrer Schubserei nicht erkennen, da sich die Braven viel zu schnell auf ihren Schlittschuhen bewegten. Meine Schweizer Besucher hatten in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten. Es waren hochkarätige Köche und Winzer, die die Burg als Ausgangspunkt benutzten, um badische Gastronomie zu erkunden. Was lag da näher als ein Besuch im „Ammolite” auf dem Gelände des Europa-Park? Dieses elegante Lokal im Hotel „Bell Rock“ hat sich im Laufe der Zeit zu meiner bevorzugten Insel entwickelt, auf die ich flüchte, wenn mich das Elend der System-Gastronomie überwältigt.

Was der Küchenchef Peter Hagen seinen Schweizer Kollegen diesmal vorsetzte, war geeignet, ihnen Ausrufe des Erstaunens zu entlocken. Die besten Schweizer Restaurants wurden zum Vergleich herangezogen, und siehe da, es erging ihnen kaum besser als den Kriegern mit den Hockeyschlägern: 1 zu 5. Tatsächlich ist das neue Hotel auf dem besten Wege, mit seinem „Ammolite” in die Sternekategorie vorzustoßen. Das Raffinement bei der Konstruktion der Gerichte, ihre genaue, alle Extreme meidende Würzung, die verblüffende Eleganz des Ambientes und der perfekte Service machen ein Essen hier zu einem Erlebnis, das die Begriffe Genuss und Luxus mühelos miteinander verbindet. Dabei schreckt die Küche nicht vor Verfremdungen zurück, welche, dem gastronomischen Zeitgeist entsprechend, verspielt genannt werden können. Aber nichts wirkt gewollt kreativ. Zusätzliche Freude macht die Vorstellung, wie viel mehr man in einem anderen Spitzenrestaurant für die gleiche Leistung zahlen müsste. Nur die alberne Ouvertüre mit den quellenden, warmen Handtüchern wirkt prätentiös.

Wolfram Siebeck, im Mai 2013

Wolfram Siebeck zählte zu den ersten Besuchern des Restaurants „Ammolite“. Mehrfach war er mit seiner Frau Barbara bereits in den ersten Monaten dort. Damals waren weder ein noch zwei Michelinsterne für das neue Restaurant absehbar. Doch Altmeister Siebeck hatte früh den richtigen Riecher für den Erfolg. Sonst hätte er nicht einige der besten Schweizer Spitzenköche und Winzer dorthin zum Essen ausgeführt. Entstanden ist daraus dieser Text.