Die Oldtimer-Flüsterer

Mit Leidenschaft und sogar detektivischem Geschick erhalten Hubert Drescher und sein Team legendäre Fahrzeuge aus Großvaters Zeiten für die Nachwelt

Manchmal sind es nur Einzelteile, die Hubert Drescher am Anfang zur Verfügung stehen: Achsen, Aufhängungen, Rahmen- und Getriebeteile, Schrauben – alles viele Jahrzehnte alt. Manchmal stehen am Anfang sogar nur alte Fotografien. Dass daraus wieder ein stolzes Automobil wird, kann sich ein Laie nicht mal vorstellen. Vor Hubert Dreschers innerem Auge ist das Gefährt aber wohl schon in diesem Zustand längst auf der Straße unterwegs – und wird dort alle Blicke auf sich lenken. In Hinterzarten bei Freiburg, auf einem idyllischen Berghang im Schwarzwald, verknüpft Drescher Beruf und Berufung: Er führt seit 1984 einen auf die Restauration und den Nachbau von Oldtimern spezialisierten Handwerksbetrieb, der in diesem Metier längst zu den Top-Adressen gehört.

Auf einem alten Bauernhof hat der 1956 geborene Karosseriebauermeister eine Werkstatt eingerichtet. Unter anderem so legendäre Fahrzeuge wie der Mercedes 300SL-Coupé-Flügeltürer, der gewaltige Maybach SW 38 oder der schnittige Porsche Typ 64 – auch Berlin-Rom-Wagen genannt – wurden von dem Familienunternehmen wieder zum Leben erweckt. In erster Linie Museen und private Oldtimerenthusiasten sind die Kunden. Die jüngsten Modelle stammen aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die ältesten aus der Zeit um 1900. Wie viele es schon waren, vermag Drescher gar nicht mehr zu sagen.

 

„Die Originalität steht für uns absolut im Vordergrund“, betont er hingegen – sprich, es geht darum, die Wagen bis zur letzten Schraube so originalgetreu, wie nur irgend möglich, wieder in den Verkehr zu bringen. Deshalb gleicht jedes Projekt des Tüftlers auch einer Detektivarbeit. Im Büro über der Werkstatt hat Drescher auf einem langen Holztisch ausgebreitet, was als Ausgangspunkt dienen kann. Alte Fotografien zeigen einen von Ferdinand Porsche 1909 für die „Österreichische Daimler-Motoren-Gesellschaft“ konstruierten Alpenwagen. Dazu gesellen sich ein „Konstruktionsbuch“ von 1907 und ein „Ingenieursbuch“ aus dem Jahr 1908. Darin ist für den Fachmann verständlich beschrieben, wie vor mehr als 100 Jahren Automobile gefertigt wurden und wie er im aktuellen Fall den Alpenwagen rekonstruieren und wieder aufbauen kann.

Um solche Unterlagen zu finden, recherchiert Drescher auch schon mal europaweit in Automobilmuseen und Archiven. Ernst Piëch, Enkel Ferdinand Porsches und Betreiber des Oldtimer-Museums Fahr(t)raum in Mattsee nördlich von Salzburg, hat den Alpenwagen in Auftrag gegeben. „Er will alle Fahrzeuge zeigen, die sein Großvater gebaut hat“, erklärt Drescher, der die Ingenieurs- und Handwerkskunst, die hinter den Automobilen von anno dazumal steckt, ganz allgemein bewundert – aber vor Ferdinand Porsche zieht er besonders den Hut: „Schauen Sie“, sagt Drescher und legt einen originalen Federbock auf den Tisch. Das etwa handtellergroße Metallteil wurde von Porsche für die Aufhängung der Federn am Fahrgestellrahmen entwickelt. „Das Loch zur Anbringung der Federn ist nicht mittig, sondern etwas nach unten versetzt“, erklärt Drescher. „Ich habe eine Zeitlang überlegen müssen, aber dann war es klar: Porsche hat auf diese Weise damals schon Gewicht eingespart, denn die Baugröße konnte so auf ein Minimum reduziert werden. Porsche sei ein Visionär gewesen – was sich neben solchen Details natürlich noch stärker beispielsweise im ersten Hybridauto der Welt zeigt, dem Lohner-Porsche „Semper Vivus“, der schon 1900 mit Verbrennungs- und Elektromotor ausgestattet war. Auch dieses Fahrzeug hat Hubert Drescher nachgebaut.

"Wir arbeiten wie damals"

Doch wie lässt man nun uralte Autos wieder auferstehen? In der Werkstatt geht es geschäftig, aber keineswegs hektisch zu. Sohn Benjamin, der das Unternehmen in einigen Jahren übernimmt, Mitinhaber Robert Krause, zwei Mitarbeiter und ein Auszubildender bearbeiten in unterschiedlicher Weise Fahrzeugteile für die rund zehn gegenwärtigen Projekte des Betriebs. Für komplette Nachbauten bilden die Oldtimer-Flüsterer zunächst die gewünschte Karosserie mit Styroporblöcken und Holzspanten nach. Gemäß dem Modell werden dann Aluminiumteile von Hand auf einem abgesägten Baumstumpf mit dem Hammer bearbeitet. Monate kann es dauern, bis das Blech schließlich ohne Abweichungen auf dem Holzspanten-Modell aufliegt. Die Kunden müssen daher Geduld mitbringen, bis sie ihre automobilen Schätze in Empfang nehmen können. „Wir arbeiten wie damals“, sagt Drescher.

Beispielsweise auch das früher übliche, jedoch schwierige Magnesiumschweißen an Rennfahrzeugen haben sich er und seine Mitarbeiter angeeignet. Wo es angebracht ist, kommen aber auch moderne Methoden wie CAD-Programme, Materialforschung oder Tests im Windkanal zum Einsatz. Die Werkstatt in Hinterzarten erledigt die Karosserieschlosserei, Arbeiten zur Mechanik, das Lackieren, die Elektrik und die Sattlerei werden hingegen von Partnern ausgeführt.

„Alte Automobile sind einfach schön“, schwärmt Drescher. Mehr noch als die Begeisterung für die Fahrzeuglegenden aus Großvaters Zeiten, ist es die Leidenschaft für das frühere Handwerk, die Drescher begeistert: „Jede Karosserie hat ihre Besonderheit, keines unserer Projekte ist gleich.“ Zurück im Büro klingelt das Telefon, jemand will ihm eine Freizeit-App schmackhaft machen. „Für Freizeit ist meine Frau zuständig“, scherzt er und macht sich umgehend an die auf dem Tisch wartende Detektivarbeit, damit ein Alpenwagen von Ferdinand Porsche aus dem Jahr 1909 bald wieder nicht nur auf Fotografien zu bewundern ist.

Hubert Drescher und sein Team.

"Edelschmieder vom Allerfeinsten"
Roland Mack

Auch Europa-Park-Chef Roland Mack ist begeistert von der Handwerkskunst Hubert Dreschers und seiner Mannschaft. Kennengelernt hat er sie eher zufällig bei einem Ausflug gemeinsam mit Unternehmerkollegen aus dem Südwesten – allesamt leidenschaftliche Oldtimer-Fans: „Für eine Schwarzwaldrallye konnten wir historische Fahrzeuge vom Porsche-Museum in Stuttgart ausleihen“, erinnert er sich. „Die Fahrt durch den Schwarzwald an einem sonnigen Herbsttag war ein Traum.“ Doch die eigentliche Überraschung kam bei einem Stopp in Hinterzarten, wo die Oldtimer-Ausflügler die Werkstatt Dreschers besuchten. „Wir staunten nicht schlecht“, schwärmt Roland Mack. „Was hier in einem abgelegenen Schwarzwaldörtchen geleis- tet wird, hatte keiner erwartet: Eine kleine Edelschmiede vom Allerfeinsten.“ Als Maschinenbauer und als Schwarzwälder gehe ihm da das Herz auf: „Dafür habe ich höchste Bewunderung, das ist leidenschaftliches Handwerk, ja geradezu ein Kunstwerk.“

Christoph Ertz

Weitere Informationen:
www.karosseriebau-drescher.de
Zum Museum Fahr(t)raum: www.fahrtraum.at