Die Gabe der Zufriedenheit

Peppi Rifesser - der Michelangelo der Bildschnitzer

Weltbekannt und heimatverbunden – Peppi Rifesser schafft auch mit fast 100 Jahren noch Skulpturen von zeitloser Schönheit / Ein Besuch im Europa-Park bei „seinem“ Christophorus und bei Roland Mack mit Familie

Im österreichischen Restaurant „Seehaus“ inmitten des Europa-Park begrüßt ein holzgeschnitzter Christophorus die einkehrenden Gäste. Feinste Schnitzarbeit aus Peppi Rifessers Hand. Aber wie hat es die Figur nach Rust verschlagen? Ein Anruf in München klärt auf. „Ach, der Peppi“, sagt Rudi Neumeier und lacht, „der schönste Mann der Welt – und der beste Schnitzer sowieso.“ 2014 hat Neumeier, Innenarchitekt und Antiquitätensammler, den Christophorus bei einer Versteigerung eingeheimst. „Ich hatte das Gefühl, dass es sich um einen echten Rifesser handeln könnte“, erzählt er. „Aber sicher war ich mir nicht.“ Da half nur eins: Gemeinsam mit seinem Sohn ist Neumeier über den Brenner gefahren, rein ins Grödnertal. Mit leuchtenden Augen empfing ihn Rifesser vor seinem Haus und fiel ihm um den Hals. Die Skulptur war tatsächlich seine, er hatte sie 1960 geschnitzt. „Seitdem sind wir Freunde. Ich habe große Achtung vor Peppi – als Künstler und menschlich“, sagt Neumeier. Als das Seehaus im Europa-Park entstand und er die Innenarchitektur gestalten sollte, wusste er sofort: Hier gehört der Christophorus hin. Tiroler Stil, die Stube mit Zirbelholz verkleidet, einen besseren Ort hätte Neumeier für die Skulptur nicht finden können. Und Peppi Rifesser? Er erfuhr aus einem Brief von Europa-Park-Gründer Roland Mack von dem schönen Platz im Seerestaurant, den sein Christophorus inzwischen gefunden hatte.

Ein Satz in Macks Schreiben war dem Künstler besonders ins Auge gestochen: „Kommen Sie doch mal nach Rust und besuchen uns und Ihren Christophorus.“ Gesagt getan, Peppi sagte zu seiner Frau Rosalie: „Da müssen wir hin.“ Soweit so gut, doch der Schnitzer aus dem Grödnertal ist zu dem Zeitpunkt 97 Jahre alt und die Reise nach Rust mit dem Auto dauert gut und gerne sechs bis sieben Stunden. Keine Hürde für den noch unglaublich fitten Südtiroler. Ein Freund saß am Steuer und so machten sich die drei auf die durchaus beschwerliche Reise durch viele Staus in den Europa-Park. Es kommt zu einer sehr herzlichen Begegnung zwischen Peppi Rifesser und seiner Frau mit Roland und Marianne Mack sowie deren Tochter Ann-Kathrin. Auch Innenarchitekt Rudi Neumeier ist dabei.

Peppi Rifesser und Roland Mack (von links).

Peppi Rifesser strahlt, lacht und freut sich unglaublich über den Coup, mit fast 100 einfach noch schnell den Europa-Park zu besuchen. Wie man es denn schafft, so alt noch fit zu bleiben, wird er mehrfach gefragt. Peppi schmunzelt: „Jeden Morgen esse ich rohen Ingwer und Knoblauch zusammen. Ich trinke regelmäßig ein Glas Wein und ich habe gute Gene. Mein Großvater ist 110 geworden.“ Unglaublich, mit welcher Lebensfreude und Ausstrahlung der fast 100-Jährige über die Attraktionen im Europa-Park staunt, noch mit der einen oder anderen hübschen Frau flirtet und sich freut wie ein Kind. „Ich habe 24 Jahre professionell Eishockey gespielt, auch in der ersten Liga“, verrät er. Er sei immer fit gewesen, habe viel trainiert, sei viel draußen in der Luft gewesen und habe sich viel bewegt. Und noch eines habe ihn jung gehalten: Zufriedenheit.

Dann holt er ein großes Paket hervor und überreicht es Roland Mack: Es ist eine geschnitzte Holzfigur. Eine „Skizze“, wie Peppi sagt, also noch recht roh. Aber das Kunstwerk wirkt bereits in dieser Form wunderschön und vollendet. Es ist der Apostel Paulus. Roland Mack ist begeistert. „Weil Sie so viel lesen müssen“, sagt Rifesser zu Roland Mack, „habe ich den Paulus ausgewählt.“ Dann gehen die Beiden zum Du über.

„Unser Firmengründer war Paul (1780) und mein Enkel heißt auch wieder Paul, ist das nicht eine schöne Fügung?“, sagt Mack und ist sichtlich gerührt von dieser großen Herzlichkeit, die der großgewachsene Südtiroler Mann nach Rust gebracht hat. Peppi Rifesser ist Jahrgang 1921, genau wie der verstorbene Vater von Roland Mack, Franz. Eine Begegnung voller Herzlichkeit, ausgelöst durch ein Kunstwerk.

Blick zurück, 1963: Peppi saß bereits im Flugzeug, der Atlantik unter ihm, die holzgeschnitzte Madonna gut und sicher eingepackt, als die schreckliche Nachricht den Kapitän und schließlich die Fluggäste erreichte: John F. Kennedy ist tot. Erschossen in Dallas. Rifessers Madonna, ein Geschenk für den US -Präsidenten und seine Gattin Jackie, kam in Washington nie an. All das ist Jahrzehnte her, heute würde die Kennedy-Schnitzerei bei einer Versteigerung ein Vermögen einbringen. Aber da ist nichts zu machen. „Ich habe sie gut versteckt“, sagt der Holzschnitzkünstler und schmunzelt wie ein junger Lausbub, während er in seinem Haus im Südtiroler Grödnertal in Erinnerungen schwelgt. „Irgendwo, wo sie keiner finden kann.“

So ist und war das Leben des Josef Rifesser, dem weltbekannten Holzschnitzer aus dem weltbekannten Holzschnitzertal in den Südtiroler Dolomiten, den alle nur als den „Peppi“ kennen: ein Hin und Her zwischen den Extremen. Da die Heimat, in den hintersten Alpen, die ihn nie ganz losgelassen hat. Dort die große, weite Welt, in der ihn seine Kunstwerke berühmt gemacht haben.

Holz und schöne Mädchen

Wer Peppi Rifesser besuchen möchte, macht sich auf in eine dunkle, steile Schlucht, er umkurvt dunkelgraue Felsbrocken, die sich über die Straße wölben und jede Sekunde drohen, aufs Auto zu stürzen, bis sich hinter der letzten Kurve plötzlich ein Idyll auftut, dem Himmel so nah, dass es schon ein Teil davon scheint. Hinter dem Hauptort St. Ulrich ragt der Langkofel der Sonne entgegen, Lärchen und saftig-grüne, steile Wiesen glitzern. Oberhalb des Dorfes hat sich Rifesser vor Jahren ein Haus in den Hang gebaut. Heute lebt er dort mit seiner Frau, Kindern und Enkelkindern. Der Ausblick so schön, dass es fast schon kitschig ist. Am Eingang begrüßen einen die ersten Schnitzereien, Rodeln und ein paar Skier lehnen in der Ecke. Rifesser bittet ins Wohnzimmer und beginnt zu erzählen: von seiner Liebe zum Holz, zur Schnitzkunst, von schönen Mädchen und schnellen Autos – von seinem Leben. In jungen Jahren hat ihn sein Vater – ein Altarbauer – zum besten Schnitzer des Dorfes gebracht, damit der Bub das Handwerk lernt. „Einer aus der Familie musste Schnitzer werden, so war es Tradition in Gröden, seit 400 Jahren schon“, erzählt Rifesser und wechselt dabei vom Ladinischen, das nur hier, in wenigen Tälern, gesprochen wird, ins Deutsche und wieder zurück. Der alte Künstler führt durchs Haus, vorbei an unzähligen Schnitzereien, Madonnen, Heiligen, Tiroler Freiheitskämpfern.

Die Lehre war hart, erzählt er weiter, nach drei Jahren stand er mit Tränen in den Augen vor seinem Vater. Tränen des Schmerzes und der Müdigkeit. „Ich derpack’s nicht mehr“, sagte er, kämpfte doch weiter und besuchte schließlich die Kunstschule von St. Ulrich. Sein Durchbruch gelang ihm 1958 – im Alter von 37 Jahren. Auf einer Auktion in Wien wurde eine Madonna mit Jesuskind und Weintrauben sowie die Skulptur „Törichte Jungfrau“ angepriesen. Aus Frankreich, Burgund, 14. Jahrhundert, waren sich die Experten einig. Rifesser traute seinen Augen nicht, doch nach einer schlaflosen Nacht war er sich immer noch sicher: Die sind nicht aus dem Spätmittelalter. Die sind von mir! Erst wurde er ausgelacht, als Hochstapler verhöhnt, mit Gefängnis bedroht. Aber als er andere, ähnliche seiner Schnitzereien präsentierte, konnte die Herkunft bewiesen werden. Der größte Kunstskandal der damaligen Zeit! Die Experten waren blamiert – und der Peppi Rifesser aus dem hintersten Grödnertal galt von da an als Wunderschnitzer.

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Von Lenz und Horst Koppelstätter