Der kubanische Jungbrunnen

Ein Hauch von Havanna im Europa-Park: Der „Buena Vista Social Club“

Ein Hauch von Havanna im ehemaligen badischen Fischerdorf Rust: „Buena Vista Club“ heißt die Bar im neunten Stock des Hotels „Castillo Alcazar“. Der Blick für die Besucher bei einem exotischen Drink geht weit über die Rheinebene bis zu den Schwarzwaldbergen. Fast hört man die Musiker des „Buena Vista Social Club“ im Hintergrund spielen. Mehr als zwei Jahrzehnte ist es nun her, seit die „Großväter“ der musikalischen Kubawelle durch das Musikprojekt des US -Gitarristen Ry Cooder und Wim Wenders legendären Dokumentarfilm quasi über Nacht zu Weltstars wurden. Ihr erstes Gemeinschaftsalbum „Buena Vista Social Club“ ist die bis heute erfolgreichste Platte der „Weltmusik“. Jetzt waren sie selbst zu einem Auftritt nach Rust in die hochmoderne Europa-Park-Arena gekommen. Wenn sich zahlreiche große Namen der Combo auch inzwischen von der Lebensbühne verabschiedet haben – Ibrahim Ferrer, Compay Segundo, Rubén González, Orlando La Chaíto Lopez und viele andere –, der Mythos „Buena Vista“ bleibt erfrischend lebendig. Denn es gibt sie noch, die Rumba-, Mambo- und Soul-Beseelten, scheinbar Musik-konservierten Senioren, welche die Musik-Tradition der Karibikinsel hoch halten. Sie scheuen die Mühen einer anstrengenden Welttournee nicht, um die Fans kubanischer Rhythmen mit ihren Solos in Begeisterung zu versetzen. Auch im Europa-Park gab es bei ihrem Auftritt minutenlange Ovationen. Auf der Bühne hatte die Bar jenes vorrevolutionären Kulturzentrums in Havannas Vorort Buena Vista atmosphärisch Gestalt angenommen, in der sich Musiker, Sänger, Tänzer und Tänzerinnen in den 50er und 60er Jahren zu spontanen Jam-Sessions zusammenfanden. Ein Schauplatz – so will es die Regie – auch für pralle Eifersuchtsdramen und glutvolle Tête-à-têtes.

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Der charismatische Eric Turro Martinez, Cheftänzer und Impressario der Crew, ist begeistert von der Europa-Park-Arena: „Das ist eine der modernsten Hallen auf unserer Europa- Tournee, damit haben wir nicht gerechnet in dem kleinen Ort Rust.“ Martinez erläutert das neue Konzept der Combo: „Geschichten, Schauspiel und rasante Tanzeinlagen haben einen größeren Stellenwert bekommen. Es treten jetzt mehr junge Leute auf. Das schafft eine neue Vielfalt.“ Zu den Jungen gehört auch seine eigene Tanzpartnerin, die bildschöne Lisa Rodriguez. Kommt es bei Altersdifferenzen zwischen 20 und 90 nicht auch mal zu Konflikten? Lisa winkt entschieden ab: „Im Gegenteil: Wir sind eine große Familie. Wir Jungen betrachten die Alten als Vorbild, lernen viel von ihnen und kümmern uns im Gegenzug sehr liebevoll um sie, helfen ihnen bei allem und machen ihnen das Leben so angenehm wie möglich. Es ist ein bisschen wie die Weiterführung des Social Club.“

Die „clubes sociales“ waren ursprünglich Stadtteilvereinigungen, die sich um die Belange unterprivilegierter Bewohner kümmerten. Musik und Tanz waren in diesem Zusammenhang eher zusätzliches Freizeitprogramm. „In der kubanischen Gesellschaft herrscht zwischen den Generationen generell große Herzlichkeit und Respekt“, sagt Lisa: „Ich bin jedenfalls sehr stolz darauf, etwa mit Luis Chacón Mendive und unserer Grand Dame Siomara Valdés unterwegs zu sein.“ Die Angesprochene, alterslos charmant, gibt das Kompliment gerne zurück: „Wir bewundern Euch auch – so elegant wie Du habe ich nie Rumba getanzt!“ Ist es nicht manchmal schwer, sozusagen die „Legende der Legende“ Buena Vista zu sein? „Unsere verstorbenen Freunde sind bei uns“, meint Siomara: „Mit jedem neuen Auftritt ehren wir ihr Andenken!“ Eine echte Hierarchie gebe es in der Gruppe nicht: „An der Konzeption der Shows beteiligen sich alle“, betont Turro Martínez: Vieles entsteht aus spontanen Einfällen, ein jeder kann sich bei uns einbringen und findet Gehör.“ Dass aber vor allem sie es sind, die das musikalische Erbe ihrer Insel verkörpern, auch daran lassen sie nicht den geringsten Zweifel. Über die politische Zukunft ihres Landes äußern sie sich dagegen eher verhalten: „Nachher wie vorher“, lautet die sybillinische Antwort auf die Frage, ob sich nach dem Tod Fidel Castros für sie Entscheidendes verändert habe. Dass ihr Enthusiasmus nicht lediglich die bekannten Karibik-Klischees transportiert, sondern gleichermaßen aus Herz und Becken kommt, davon durften sich die Fans kubanischer Rhythmen in der ausverkauften Europa-Park-Arena überzeugen. Die perfekte Show präsentierte einen durchaus nostalgischen Blick auf die 40er und 50er Jahre – natürlich nur in musikalischer Hinsicht, denn dazumal beherrschten der Diktator Batista, der Glücksritter Meyer Lansky und die US -Mafia die politische Szene. In den Bars von Havanna inszenierte sich, jedenfalls im Selbstverständnis der Protagonisten, eine musikalische Gegenwelt.

Siomara Avilla Valdés Lescay (Sängerin), Ignacio „Mazacote“ Carrillo (Sänger, Jahrgang 1924), Lisa Rodriguez (Tänzerin) Eric Turro Martinez (Cheftänzer und Impressario).

So atemberaubend die Tänzerinnen und Tänzer auch das Tempo vorlegen – rasant wechselnde Tänze von Rumba über Salsa bis zum Cha-Cha-Cha – die „Sternstunden“ gehören noch immer den Alten: dem Meister an der Güiro (Ratschgurke), Enrique Lazaga Varona, dem gemütvollen Pianisten Lázaro Valdés, dem Sänger Julio Alberto Fernandez, der Rumba-Legende Mendive (Jahrgang 39), liebevoll „Asperino“ genannt, ganz Grandseigneur im weißen Anzug, und dem unglaublichen Sänger Ignacio „Mazacote“ Carrillo – Jahrgang 1924! –, der seinen Stock nicht wirklich zu brauchen scheint. Echte Typen allesamt. Am Ende ist es gerade das lebendige Zusammenspiel von Alt und Jung, das auch im Europa-Park zu Begeisterungsstürmen hinreißt: unerreichbares Vorbild für einen neuen Generationenvertrag.