Weiß ist die hellste Farbe

Die abstrakte Malerei feiert die Farbe Weiß // Stararchitekt Richard Meier baute viele weiße Gebäude // Weiß hat in allen Kulturen eine hohe Symbolkraft

Die weiße Taube bringt die Friedensbotschaft und wer die weiße Flagge hisst, will nur noch eins: friedlich nach Hause. Ob Weiß nun als „Unfarbe“ oder als Summe aller Farben behandelt wird, der Symbolwert ist in vielen Kulturen beträchtlich. In Europa trägt die Braut weiß, das weiße Brautkleid steht für Unschuld, Jungfräulichkeit und Reinheit. Im Buddhismus gilt die weiße Lotusblüte als Zeichen der Erleuchtung. In Afrika dienen Körperbemalungen mit weißer Farbe dazu, mit den Geistern in Kontakt zu treten.

Im Buddhismus bedeutet die Lotusblüte himmlische Reinheit, bei den Ägyptern steht sie für Wiedergeburt. Reinheit ist auch das Thema bei der Hochzeit in Weiß.

In der deutschen Sprache gibt es viele Redewendungen mit der Farbe Weiß: Wenn uns jemand etwas vormacht, heißt es: Etwas wird uns weiß gemacht. Einen unbekannten Ort bezeichnet man als weißen Fleck auf der Landkarte. Wer unschuldig ist, hat eine weiße Weste und wer beim Feiern zu tief ins Glas schaut, der kann schon mal weiße Mäuse sehen.

Weiß ist die hellste aller Farben, sie bildet den Gegenpol zu Schwarz, der dunkelsten Farbe. Weiß ist leise und zart. Mit Weiß aufgehellte Farben ergeben feine Pastelltöne. Während Schwarz das Licht absorbiert (verschluckt), reflektiert die Farbe Weiß fast vollständig alles Licht. Daher speichert Weiß auch weniger Wärme, und in heißen Ländern wird oft weiße Kleidung getragen.

Jeder Mensch nimmt Farben anders wahr

Sinnesempfindungen, das heißt jeder Mensch nimmt Farben anders wahr. Was wir als Farbe erkennen, ist elektromagnetische Lichtstrahlung. Der sichtbare Wellenlängenbereich reicht etwa von 400 bis 750 Nanometern (nm), und man nimmt bis 485 nm die Farbe Blau, von 500 nm bis 550 nm Grün, von 570 nm bis 590 nm Gelb und ab 630 nm Rot wahr. Im Auge sind die Zapfen und Stäbchen der Netzhaut verantwortlich für das Erzeugen der Reize beim Auftreffen von Licht. Diese Zellen enthalten lichtempfindliche Stoffe. Bei niedrigen Lichtintensitäten arbeiten nur die Stäbchen und wir können keine Farben unterscheiden. Erst bei höheren Intensitäten werden die Zapfen angesprochen, und dann lassen sich Farben unterscheiden.

Ein besonderes Merkmal ist, dass die Farbe Weiß den hellsten aller Farbtöne bezeichnet und das Auge ihn nur dann wahrnehmen kann, wenn alle Zapfen in der Netzhaut in gleicher Weise und mit hoher Intensität gereizt werden. Weiß ist keine Spektralfarbe, sondern entsteht durch ein Gemisch aus Einzelfarben, das den gleichen Eindruck hervorruft wie Sonnenlicht.

Jan Dries, Lichtdiafragma, 1985, Sammlung Ruppert, Museum im Kulturspeicher Würzburg.

An positiven Eigenschaften wird dem Weiß Reinheit, Licht, Unschuld, Vollkommenheit und Sauberkeit zugesprochen.
Nahrungsmittel wurden beispielsweise durch den Bezug mit Farbe veredelt: weißer Zucker, weißes Mehl, weißer Reis. Aber es gibt auch negative Elemente, die mit Weiß in Verbindung gebracht werden, wie Kälte und Sterilität.

Weiß in der Bildenden Kunst und Architektur

Schon in der Antike wurden schöne Körper ganz in Weiß gestaltet. Griechische Gipsabdrücke waren Weiß, ebenso wie die Tempel. Viele weiße Rohstoffe wie Gips, Kalkstein, Porzellan oder Marmor geben das Spiel aus Licht und Schatten am schönsten wieder. In der Renaissance symbolisierten weiße Gewänder die himmlische Herkunft der Träger. Bis heute ist Weiß eine wichtige und besondere Farbe in der Kunst.
Der Anfang abstrakter Malerei war weiß. Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch experimentierten mit dieser Farbe. Kasimir Malewitsch legte 1915 mit seinem „Schwarzen Quadrat auf weißem Grund“ den Grundstein der abstrakten Malerei und vollendete sein Konzept mit dem Gemälde „Weißes Quadrat auf weißem Grund“.

Kandinsky, 1866 in Moskau geboren, sah die Farbe Weiß als Symbol einer Welt, in der alle Farben als materielle Eigenschaften und Substanzen verschwunden sind. Weiß wirke auf die Psyche als großes Schweigen. Außerdem spreche die Farbe den Intellekt an.

Weiß bringt das Licht zur Geltung

 Das von Richard Meier gebaute Museum Frieder Burda in Baden-Baden glänzt in strahlendem Weiß.

1927 entstand auf dem Stuttgarter Killesberg eine ungewöhnliche, neue Wohnsiedlung: der Weißenhof. International renommierte Architekten entwarfen hier ein zukünftiges Wohnmodell. Ludwig Mies van der Rohe hat allen beteiligten Architekten ein „gebrochenes Weiß“ als Grundfarbe vorgeschlagen. Der Schweizer Architekt Le Corbusier sorgte dort mit seinem weißen, dachlosen Ozeandampfer für Empörung. Wie kein zweiter hat der amerikanische Stararchitekt Richard Meier mit der Farbe Weiß seine Gebäude zum Strahlen gebracht. Weiß sei für ihn so reizvoll, weil es das Licht im Wechsel der Jahreszeiten besonders gut reflektiere. Einige monumentale Bauwerke hat Meier in Deutschland geschaffen, alle in Weiß versteht sich, darunter das Museum Frieder Burda in Baden-Baden, das Arp Museum Rolandseck und ein Verwaltungsgebäude für die Rickmers Reederei in Hamburg. Von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde der „weiße Architekt“ 2001 gefragt, ob Weiß für ihn eine spirituelle Qualität besitze? „Durchaus. Für mich findet Architektur in Weiß ihren klarsten Ausdruck. Weiß vermag am stringentesten die architektonischen Prinzipien von Transparenz und Geschlossenheit zu vermitteln und eine Beziehung zwischen der durchgehenden Wandf läche und der Offenheit des Glases herzustellen. Hinzu kommt, dass Weiß bei der Verwendung unterschiedlicher Materialien im Bauwerk eine harmonisierende Wirkung hat“, antwortete Meier. Und wie sollte es anders sein, die eigenen Häuser dieser Stararchitekten sind auch schneeweiß. So glänzt Le Corbusiers Villa Savoye in Poissy als Paradebeispiel des von ihm geforderten „weisen, korrekten und wunderbaren Spiels der Volumen mit Licht“.

Die Zukunft ist Weiß

Auch in der Innenarchitektur und im Bereich Design hat Weiß längst einen Siegeszug verzeichnet. Die meisten Wände werden in den Häusern weiß gestrichen, Handys sind ebenso wie Laptops in edlem Weiß, wir fahren weiße Autos, waschen uns in weißen Wannen und tragen weiße Mäntel. Weiß verheißt Luxus, Kunst und Eleganz. Wenn wir Sport treiben, dann meist in weißen Turnschuhen und im Judo wie im Tennis dominiert Weiß. Viele Berufszweige wie Köche, Bäcker oder Krankenpfleger tragen, auch aus hygienischen Gründen, weiße Arbeitskleidung. Alljährlich organisieren Privatinitiativen das „Diner en blanc“ auf öffentlichen Plätzen, bei dem Menschen ganz in Weiß gekleidet zusammen picknicken. Doch vor allem ist Weiß eine helle, kraftvolle Farbe, die nicht aus der Mode kommt, weil sie mehr als Mode ist.

Text: Ute Bauermeister
Fotos: Günther Uecker, Gegenströmung 1965, Sammlung Ruppert, Museum im Kulturspeicher Würzburg, Foto: Elmar Hahn Studios, VG Bild Kunst Bonn 2014 / Foto: Hans-Martin Asch / Rolf Knie / iStockphoto / Museum Frieder Burda.