Tastsinn

Die Druckfarbenindustrie nutzt zunehmend die Chancen der Haptik // Soft-Touch & Co: Wie der Tastsinn Farben betont

Für den Wissenschaftler Martin Grunwald, Leiter des Haptik-Forschungslabors an der Universität Leipzig, ist der Tastsinn das wichtigste Sinnessystem überhaupt: „Der Tastsinn ist ein Lebensprinzip. Es werden Menschen blind oder taub geboren, aber ohne den Tastsinn ist noch niemand auf die Welt gekommen“, sagt Grunwald in einem Interview mit der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“. Die Fingerkuppen sind reichlich mit „Meissner-Körperchen“ ausgestattet – Tastsinnesrezeptoren, die für leichte Berührungen zuständig sind. Daher können die Finger besonders gut Oberflächenunterschiede wahrnehmen.

Beim Marketing von Produkten wurden die Erkenntnisse aus der Lehre vom Tastsinn, der Haptik, allerdings lange vernachlässigt. Doch etwa die Untersuchungen der amerikanischen Forscherin Aradhna Krishna von der University of Michigan belegen, dass es einen unmittelbaren Einfluss der Haptik auf die Wahrnehmung eines Produkts gibt. Krishna ließ 2008 Probanden den Geschmack von Wasser beurteilen. Eine Gruppe durfte den Becher selbst festhalten, die andere nicht. Tatsächlich beurteilten die Versuchsteilnehmer den Geschmack des Wassers besser, wenn sie den Becher festhalten durften. Das Motto „Bitte nicht anfassen“ erscheint folglich wie ein Lehrsatz aus einem Management-Handbuch für Schildbürger. Heutzutage sind die Fingerkuppen aber längst zu einem Verkaufsfaktor geworden: Insbesondere die Druckfarbenindustrie wartet zunehmend mit haptischen Effekten auf. Printprodukte, die sich unerwartet anfühlen, bieten außergewöhnliche Chancen, um für eine Überraschung und damit für eine spezielle Beachtung zu sorgen. „Es gibt ein großes Interesse bei unseren Kunden, da haptische Effekte neue und aufregende Möglichkeiten für Designer bieten“, berichtet Stefan Koch, Leiter im Bereich Lebensmittelverpackungen und Wasserlacke im Werk Karlstein am Main beim Hersteller von Druckfarben und -pigmenten Sun Chemical.

Dabei gibt es die unterschiedlichsten Ausführungen, um dem Tastsinn zu schmeicheln: so zum Beispiel Oberflächen, die sich wie Gummi anfühlen oder andere, die sandartig daherkommen. Durch die zusätzliche Anregung des Tastsinns wird die optische Wirkung eines Produkts unterstrichen. Es entsteht ein emotionalerer Zugang. Insbesondere so genannte Soft-Touch-Lacke entwickeln sich immer mehr zu einem Renner für die Druckfarbenindustrie. „Das Thema Soft-Feel steht auch bei uns im Mittelpunkt“, erläutert Koch. „Die Produkte reichen vom gehobenen Segment wie Kosmetik- und Schokoladenverpackung bis zu einfacheren Bereichen wie Taschentuch-Boxen, Grußkarten und Illustrierten.

Ein besonders augenfälliges Beispiel für eine Marke, die neuerdings auf Soft-Touch setzt, liefert Marlboro. Die Packungen der roten und goldenen Marlboro haben 2014 ein völlig neues Outfit erhalten, bei dem eine Soft-Touch-Lackierung die „Einzigartigkeit der neuen Packung im wahrsten Sinne des Wortes greifbar“ macht, wie es beim Hersteller Philip Morris heißt. Entwickelt und produziert werden die neuen Beschichtungen für die weltberühmte Marke unter anderem von der Siegwerk Druckfarben AG mit Hauptsitz in Siegburg. „Soft-Touch-Systeme fühlen sich an, als ob man eine Katze oder ein Samtkissen streichelt“, erläutert Wolfram Gieseke, bei Siegwerk zuständig für die Entwicklung von Tobacco-Farben. Häufig gebe es als erste Reaktion darauf ein begeistertes „Wow“. Seit etwa fünf Jahren seien Soft-Touch-Effekte im Kommen. Siegwerk-Farben werden überwiegend im Tiefdruck-, aber auch im Offsetverfahren verarbeitet. Vorangetrieben wird die Entwicklung vor allem durch die Tabak- und die Kosmetik-Industrie: „Beide suchen ständig neue Eyecatcher und sind die kreativsten Vertreter im Verpackungsbereich.“

Zur Erzeugung haptischer Effekte gibt es etliche Verfahren, die sich beispielsweise spezieller Additive und Polymere bedienen. „Generell müssen recht dicke Schichten zur Erzeugung von Haptik-Effekten aufgebracht werden. Daher wird dies normalerweise per Flexoverfahren bezie- hungsweise Siebdruck gemacht“, erklärt Stefan Koch von Sun Chemical. „Eben aufgrund seiner Möglichkeiten, relativ hohe Schichtstärken aufzutragen, bietet der Siebdruck einige Vorteile bei der Realisierung von haptischen Effekten, die in anderen Druckverfahren nicht oder nur schwer möglich sind“, ergänzt Edwin Tafelmeier, Laborleiter bei Sun Chemical in Nürnberg. „Eine Domäne des Siebdrucks ist etwa der Druck von ausgeprägten Reliefs, die deutlich sichtbar und ertastbar sind.“ Aber welches Verfahren und welcher Effekt auch immer – beim Streben ihrer Kunden nach Unverwechselbarkeit werden die Haptik-Designs der Druckfarbenhersteller sicher auch künftig eine Schlüsselrolle einnehmen.

Text: Christoph Ertz

Foto: iStockphoto