Farben erzählen Geschichten

Tag des offenen Denkmals

Seit Urzeiten sind Farben für den Menschen von zentraler Bedeutung: Sie verschönern die Welt, vermitteln Botschaften oder setzen Signale. Unter dem Motto „Farbe“ bot der „Tag des offenen Denkmals“ in ganz Deutschland spannende Einblicke in ein facettenreiches Thema, das einen auf Schritt und Tritt begleitet.

Er suchte nur seinen Hund – und fand eine Höhle. Im Jahr 1868 war es, als ein Jäger in der Nähe von Santander im Norden Spaniens zufällig die Altamira-Höhle entdeckte, nachdem sein Jagdhund ausgebüxt war. Erst viele Jahre später wurde klar: Der Jäger war auf die „Sixtinische Kapelle prähistorischer Kunst“ gestoßen – und er hatte ein beeindruckendes Zeugnis dafür gefunden, dass Farben für den Menschen schon mindestens seit der Steinzeit von zentraler Bedeutung sind. Insgesamt etwa 930 Bilder und Zeichnungen haben Höhlenbewohner dort hinterlassen, darunter farbige Darstellungen von Tieren und Jagden. Die Bilder von Altamira sind rund 15.000 Jahre alt. „Gerade weil wir Menschen Farbe als unmittelbaren Sinneseindruck erleben, ist die farbliche Gestaltung unserer Lebensumgebung seit Urzeiten eine zentrale Ausdrucksform. Alle Völker der Erde benutzen Farben gezielt, gleich ob als reine Farbf lächen oder als bestimmte optische Muster. Farben spielen im Ritus und in der Religion, in der ethnischen Abgrenzung und zur Ordnung sozialer Hierarchien eine bedeutende Rolle. Farben können Geschichten erzählen“, erklärt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. 2014 hatte sie daher einen Tag in ganz Deutschland dazu auserkoren, um Farben ihre Geschichten erzählen zu lassen: Der „Tag des offenen Denkmals“ stand unter dem Motto „Farbe“. Fachwerkhäuser, mittelalterliche Kirchenfenster, Bauhaus-Kunst, Industrie-Denkmäler oder Deckenfresken und farblich gestaltete Fassaden sowie bunte Stein- und Holzfiguren: Weit mehr als 7.500 Denkmale waren bei freiem Eintritt für Besucher geöffnet, auch viele, die normalerweise nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. So konnten Interessierte in Wiesbaden eine farbenprächtige Jugendstil-Gruft nur am „Tag des offenen Denkmals“ erkunden. Sie gewährte einen eindrucksvollen Blick zurück ins 19. Jahrhundert, als die heutige hessische Landeshauptstadt sprunghaft wuchs: Aus ehemals 2.000 Einwohnern wurden 100.000 – die Stadt zog vor allem Wohlhabende und Reiche an, die schon zu Lebzeiten dafür sorgten, einmal angemessen bestattet zu werden.

Bunte Fassaden prägen die historische Altstadt von Wasserburg an Inn.

Ansprüche und Botschaften

Deutschlandweit machten sich am „Tag des offenen Denkmals“ mehr als vier Millionen Kulturbegeisterte zu solchen Denkmälern auf, um aus erster Hand Informationen rund um deren Geschichte zu erfahren. Vor allem tauchten sie ein in die vielen Facetten, die das Thema Farbe bietet. Wie Farbe in Vergangenheit und Gegenwart das alltägliche Leben bereichert, zeigte besonders eindrucksvoll Erfurt. Dort war die mittelalterliche Krämerbrücke – eines der Wahrzeichen der thüringischen Landeshauptstadt – gut beschirmt. Mehr als 100 gelbe, hellgrüne und rote Schirme an Stahlseilen bildeten ein buntes Dach über die enge Handelsgasse. Die Bewohner der längsten durchgehend mit Häusern bebauten und bewohnten Brücke Europas wollten mit der Installation auch auf die Verantwortung für das architektonische Erbe aufmerksam machen.

Bereits seit Jahrhunderten dienen Farben zur Betonung von Ansprüchen und Botschaften – insbesondere des christlichen Glaubens. Ein Dom wie St. Petri im Herzen von Bremen wirkt daher wie ein Farbwunder. Die Kirchenfenster schimmern in gleichsam sanften wie prächtigen Tönen, auf dem Boden breiten sich prächtige Marmormosaiken aus. Auch an vielen anderen Orten wie in der katholischen Kirche von Waibstadt nahe Heidelberg erzählen Kirchenfenster die Bibel als Farbspektakel. Die Taufe Jesu ist darauf zu sehen, genauso wie die Hochzeit zu Kana und der Tanz der Salome. Jeder Abschnitt bietet eine kleine Entdeckung und alles zusammen ein großes Farbenspiel.

Farben können auch Protest und Aufbruch signalisieren. Das verdeutlicht besonders Berlin, wo an der „East Side Gallery“ Künstler mit bunten Farben ihre überwältigende Freude über den Mauerfall ausdrücken. Doch schon zu früheren Zeiten wie in den 1920er Jahren, als Arbeitersiedlungen in roten und gelben Backsteinbauten errichtet worden waren, setzte Farbe politische Signale gegen die herrschende Tristesse. „Gebäude nutzen die Kraft der Farben, um Aufmerksamkeitssignale auszusenden oder um die Besucher in besondere Stimmungen zu versetzen“, erläuterte zum Denkmal-Tag der Direktor des Landesdenkmalamtes Berlin, Jörg Haspel.

Privilegien und Monopole

Farbe durchzieht das ganze Leben. Doch wie wird sie eigentlich hergestellt? Einst waren viele Farben nur schwer zu gewinnen und daher teuer: Um die Herstellung von Farbstoffen und Pigmenten rankten sich Privilegien, Monopole und Geheimrezepte. Beispielsweise zur Gewinnung eines Gramms des Farbstoffs Purpur benötigte man um die 10.000 Purpurschnecken – Purpur war daher ähnlich kostbar wie Gold. Auch in die Geschichte der Farbproduktion weihte der „Tag des offenen Denkmals“ ein. So demonstrierte das Edelsteinmuseum im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein, wie mit dem Achatmörser früher feinste Pigmente gewonnen wurden, deren Textur die Besucher zwischen den Fingern testen konnten. „Eine so große Auswahl an verschiedenen Farbtönen, wie wir sie heute kennen, gibt es erst seit dem späten 19. Jahrhundert“, erklärte Liane Mannhardt, Leiterin der Denkmalschutzbehörde im Landkreis Darmstadt-Dieburg, bei einer Besichtigungstour durch das im 15. Jahrhundert erbaute „Pfälzer Schloss“ in Groß-Umstadt.

Aufbruch signalisieren die Farben an der "East Side Gallery".

„Zur Entstehungszeit des Pfälzer Schlosses hatte man nur etwa zehn unterschiedliche Pigmente in feinen Differenzierungen zur Verfügung.“ Bis ins 19. Jahrhundert blieb das Färben ein teures und mühsames Geschäft. Ob für Kleidung, Malerei oder Druck – jegliche Farbe musste aus Tieren, Mineralien und Pflanzen, aus Insekten und Mollusken, aus Wurzeln und Blättern gewonnen werden. Erst als 1856 ein junger englischer Chemiker namens William Perkin zufällig eine Methode fand, Farbe aus Kohle herzustellen, war der Weg frei für den wahren Siegeszug der Farbe: Schon 50 Jahre später gab es bereits 2.000 synthetische Farbstoffe und der Grundstein zum Entstehen einer modernen großen Farbenindustrie, wie wir sie heute kennen, war gelegt.

Info
Die Idee zum „Tag des offenen Denkmals“ hatte 1984 der damalige französische Kultusminister Jack Lang. In der Bevölkerung kam sie so gut an, dass viele europäische Länder ebenfalls begannen, ihre Denkmäler für einen Tag kostenfrei zu öffnen. 1991 initiierte der Europarat die so genannten „European Heritage Days“, bei denen an einem Wochenende im September auch bisher unbekannte Denkmäler geöffnet und Expertenführungen angeboten werden. Inzwischen sind 50 Länder beteiligt, darunter Aserbaidschan und die Türkei. In Deutschland wird seit 1993 der „Tag des offenen Denkmals“ begangen. Insgesamt schätzt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die den Tag koordiniert, die Zahl der Kulturdenkmale in Deutschland auf 1,3 Millionen.

Text: Christoph Ertz

Fotos: Stadtverwaltung Erfurt, Andreas Hiebl, picture alliance