Schatzkammer der Lackiertechnik

Lackieranlagen Dürr

Lackieranlagen brauchen viel Energie. Doch es gibt bereits rasante Verbesserungen, auch in den Lackierprozessen und bei Schlüsselthemen wie Platz- und Materialersparnis. Dies offenbart ein Besuch beim Weltmarktführer Dürr in Bietigheim-Bissingen.

Noch harren Dutzende Lackierroboter bewegungslos ihrer Dinge. Matt hängen bei einigen die Arme herab, bei anderen ziehen Arbeiter gerade Schläuche und Kabel ein. „Im Jahr fertigen wir mehr als 1.000 davon“, erklärt Jürgen Haas, Forschungs- und Entwicklungsleiter für die Applikationstechnik, während eines Rundgangs durch die Produktionshallen des Maschinen- und Anlagenbauers Dürr in Bietigheim-Bissingen bei Stuttgart. Einmal zum Leben erweckt, werden diese Roboter unablässig in Lackieranlagen insbesondere von so gut wie allen Automobilherstellern ihren Dienst versehen.

Gekrümmte Teile und Kanten lackieren die äußerst beweglichen Maschinen ebenso gleichmäßig wie flache Oberflächen. Sie sind mit einem Farbwechsel- und Dosiersystem direkt auf dem Roboterarm ausgerüstet – so dass sie ohne aufwändiges Reinigen rasend schnell die Farben ändern können. „Außerdem brauchen diese neuesten Roboter rund 30 Prozent weniger Energie als ihre Vorgängergeneration“, fügt Haas hinzu – und leitet so über zu einem Kernthema, nicht nur für Dürr: Lackieranlagen im Automobil- und sonstigen Fahrzeugbau haben einen gewaltigen Energiehunger. Um Autos in brillante Farben zu kleiden, sind komplexe Arbeitsschritte nötig: Die Karosserien durchlaufen diverse Tauchbäder zur Reinigung und Grundierung. Mehrmals führt ihr Weg durch große Öfen, denen Abkühlphasen folgen. Gerade die Luftaufbereitung verschlingt Energie, denn egal ob Sommer oder Winter – Lackierprozesse brauchen konstante Luftfeuchtigkeit und Temperaturen sowie partikelfreie Luft. „In einer Stunde fließt bis zu eine Million Kubikmeter Luft durch typische Lackierkabinen, die aufbereitet werden muss“, erläutert dazu Jürgen Jost, Forschungs- und Entwicklungsleiter für die Lackieranlagentechnik bei Dürr. Das entspricht annähernd dem Luftvolumen der Arena

Wie mittlere Stadt

Alle Arbeitsschritte zusammengenommen führen dazu, dass eine große, bis zu 100 Millionen Euro teure Lackierstraße so viel Energie verbraucht, wie eine mittlere Stadt mit 50.000 Einwohnern. Die Lackierung gehört damit zu den energieintensivsten Bereichen in einer Automobilproduktion. Doch Dürr arbeitet längst dagegen an. „Wir haben ein ganzes Konglomerat an Lösungen, mit denen sich Prozessverbesserungen, höhere Flexibilisierung und Energie-, Material- sowie Platzersparnis realisieren lassen“, betont Jost. Seinen Anfang nahm der heutige Konzern als kleiner Blechbearbeitungsbetrieb, den Paul Dürr 1895 in Stuttgart gründete. Heute ist das Unternehmen, das einst auch vom Enkel des Gründers und späteren Bahn-Chef Heinz Dürr geleitet wurde, als Aktiengesellschaft organisiert. Die Familie Dürr hält noch über ein Viertel der Anteile. Sehr breit ist das Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 3,2 Milliarden Euro und rund 13.700 Mitarbeitern in 28 Ländern aufgestellt. Dürr baut nicht nur Lackierstraßen, sondern auch Fahrzeugendmontagen oder Klebeanlagen für den Karosserierohbau und betreibt Geschäftszweige mit Auswucht- und Reinigungsanlagen sowie mit Prüf- und Befülltechnik. Auch Abluftreinigungsanlagen und Enegieeffizienztechnik gehören zum Leistungsumfang, ebenso wie Anlagen für die holzbearbeitende Industrie. „Eine Hauptsparte aber ist und bleibt der Bau von Lackieranlagen“, sagt Jost. „Da sind wir – wie in fast allen anderen Aktivitäten auch – Weltmarktführer.“ Etwas mehr als ein Dutzend große Lackieranlagen, die etwa zwei Jahre bis zur Fertigstellung benötigen, werden jährlich an Kunden übergeben. Dürr ist nicht nur bei den Zahlen mit Abstand führend in der Branche, sondern auch bei den Innovationen. Jost öffnet die Tür zu einer weiteren Halle. Was sich darin verbirgt, ist eine Art Schatzkammer des Lackieranlagenbaus: Sie gehört zum nach Firmenangaben weltgrößten Testcenter für Lackiertechnik. Auch Autohersteller überprüfen hier regelmäßig ihre Lackierprozesse. „In den letzten zehn Jahren ist sehr viel passiert“, sagt Jost. „Ob bei der Effizienz, bei der Energie, beim Wasserverbrauch oder in puncto Platzbedarf – wir sind gewaltig vorangekommen.“ Und in der fußballfeldgroßen Halle sind viele der Techniken versammelt, die die Welt des Lackierens so rapide verändern.

Effizienz ist das Zauberwort für moderne Lackieranlagen. Dürr setzt dies in vielfältiger Weise um.

Eine Anlage kann Karossen greifen, in ein Becken tauchen und sie darin einmal um die eigene Achse drehen, damit auch alle Hohlräume mit einer Korrosionsschutzbeschichtung versehen werden. Mit ihr tüfteln Ingenieure und Techniker von Dürr an weiteren Verbesserungen des Rotationstauchverfahrens „Ecopaint RoDip“, mit dem weltweit bereits mehr als 50 Millionen Fahrzeuge lackiert wurden. Gegenüber türmt sich eine Lackierkabine vom Typ „EcoReBooth“ auf. Haushoch bis 13 Meter Höhe reckt sie sich – und ist dennoch der David unter den Lackierkabinen. „Herkömmliche Kabinen sind bis zu 30 Meter hoch“, erläutert Jost.

Um Platz zu sparen, wurden die Komponenten für die Prozesslufttechnik erstmals unterhalb der Spritzkabine platziert. Aber auch was die Cleverness gegenüber den herkömmlichen Goliaths anbelangt, drängt sich der Vergleich mit dem biblischen David auf: Denn ausgestattet mit dem revolutionären System „Eco-Dry-Scrubber“ zur Trockenabscheidung des Lacknebels benötigt die Kabine so gut wie keine Zuführung frischer Luft. Sie wird fast ausschließlich mit Umluft betrieben, die nicht ständig aufbereitet werden muss.

Grundlage dieser Schlüsseltechnologie ist ein feinporiger, mit Steinmehl beschichteter Kunststofffilter, der die Lacktröpfchen des Oversprays aufnimmt. Auch auf Wasser und Chemikalien kann bei dieser Art der Lacknebelabscheidung komplett verzichtet werden. „Das ist ein Riesenschritt“, erklärt Jost – denn das schon in rund 75 Anlagen installierte Verfahren bringt bis zu 60 Prozent Energieersparnis bei den Lackierkabinen, die bislang stets die meiste Energie innerhalb des Lackierprozesses verschlungen haben. „Nun stehen die Öfen auf Platz eins“, sagt Jost. „Doch auch hier bieten wir bereits ein energiesparendes Verfahren.“ Bei Dürr ist man sich sicher, dass die Entwicklung rasant weitergehen wird. Schon in einigen Jahren wird daher wohl auch der revolutionäre „Eco-Dry-Scrubber“ nur ein Zwischenschritt gewesen sein.

Info: www.durr-paint.com/de/

Text: Christoph Ertz

Fotos: Dürr Systems GmbH