Architektur und Farbe

„Wie auf einem gestalterischen Trampolin“

„Die Farbe in der Architektur ist ein ebenso kräftiges Mittel wie der Grundriss und der Schnitt“, befand der berühmte Künstler-Architekt Le Corbusier. Farbe und Architektur gehören von jeher zusammen – aber wie? Welche Entwicklungen gibt es? Und vor allem: Was ist in der Praxis zu beachten? Im Interview gibt der renommierte Farbgestalter Christian Brandstädter Einblicke in eine vielfältige Thematik, der sich niemand entziehen kann. Sein Ansatz: Bei den Farben in der Architektur darf es keine Dogmatik geben.

Welche Bedeutung hat Farbe für die Architektur?

Christian Brandstädter: Die Farbe hat schon immer einen großen Einfluss. Weit mehr als andere Elemente eines Gebäudes sind Farben Träger von Stimmungen. Neben formalen Aspekten prägen sie ein Gebäude in emotionaler Hinsicht und entscheiden somit auch darüber, ob ein Gebäude gemocht wird. Es gibt dazu ein schönes Zitat des Kunsttheoretikers Josef Albers: Farbe hat viele Gesichter, ob dunkel oder hell, warm oder kalt, leuchtend oder stumpf – für uns Menschen werden Farben psychologisch wirksam als ernst oder heiter, mächtig oder zart oder auch als hysterisch oder melancholisch. Auch der Architekt Günter Behnisch erkennt die Chancen der Farbe, wenn er sagt: Mit Farbe kann man Räume verändern, verschlossene Räume öffnen, niedrige erhöhen, schmale weiten und dunkle sonnig machen.

Wie hat sich dieser Zusammenhang historisch entwickelt?

Brandstädter: Früher wurden Häuser ja oft mit Materialien aus der direkten Umgebung gebaut und beschichtet – mit Natur- und Backsteinen, Lehm und erdfarbenen Pigmenten, die aus Böden der Umgebung gewonnen wurden. Dadurch gab es im Erscheinungsbild eine gewisse Selbstverständlichkeit und Ruhe. Farbige Ausschmückungen beschränkten sich eher auf sakrale Gebäude. Noch bis zum 19. Jahrhundert sind länger anhaltende Farbzyklen feststellbar, in denen sich die Farbigkeit veränderte, von Buntheit über gedämpfte Farben zu Erdfarbigkeit wieder zurück zu stärker gesättigten Tönen. Wie die architektonische Formensprache sind also auch Farben stilistischen und modischen Strömungen unterworfen. Rot, Terrakotta- und naturhelle Töne dürfen aber als zeitlich beständiger angesehen werden.

Und wie sieht es heute aus?

Brandstädter: Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich ein unüberschaubarer Materialpluralismus entwickelt. Es gibt heute eine Fülle an Möglichkeiten und faszinierenden Innovationen, die dem Erscheinungsbild von Architektur eine starke Individualität und Wiedererkennbarkeit geben. Dieser Pluralismus bietet viele Chancen, er hat aber auch die Gefahr, dass etwa der persönliche Wunsch nach gestalterischer Eigenständigkeit städtebauliche Orientierung verhindert. Wir leben fast wie auf einem gestalterischen Trampolin. Wie in der Mode sind auch in der Architektur viele Strömungen zeitgleich anzutreffen.

Welche Probleme können dabei auftreten?

Brandstädter: Die Farbe ist in der Architektur immer auf etwas bezogen, sie trifft auf Material, auf eine Form, auf einen Raum ... insofern spielt für die Farbgebung und deren Wahrnehmung ein ganzes Konsortium an Kriterien eine Rolle und dabei kann man eben vieles falsch machen. Bei der Planung wird beispielsweise oft wenig Rücksicht auf Nachbarbebauungen genommen und das führt dann zu Sammelsurium-Effekten. Es ist nicht gut, wenn es zu bunt wird, wenn Wohngebiete durch Farbe quasi zerrissen werden. Auch technische und funktionale Aspekte gilt es zu bedenken. Nicht alle Farben sind gleich langlebig. Es gibt lichtbeständige Pigmente und Pigmente, die das weniger sind. Deshalb verändern sich im Laufe der Jahre manche Farboberflächen durch Sonneneinstrahlung und Bewitterung. Beispielsweise neigen einige Rot- und Blaupigmente zum Ausbleichen. Fassaden generell bekommen im Laufe der Zeit eine gewisse Patina. Wenn Farben mit dem Gebäude gealtert sind, gefallen sie mir oft besser, weil sie mit dem Gebäude „verwachsen“ sind. Die Bewertungen dieser Veränderungen fallen aber recht unterschiedlich aus. Das, was im Urlaub im Süden geliebt wird, weil es mit der Leichtigkeit des Lebens verbunden wird, wird daheim schnell als Baumangel empfunden. Also, bei Farben in architektonischen Zusammenhängen reden wir nicht über Krawattenfarben, sondern über längerfristige Wirkungen. Beispielsweise haben Hellblau, Rosatöne oder Farben, die ins Violette abdriften, für mich etwas Geschmäcklerisches und stehen meist für persönliche Lieblingsfarben, die mit Architektur wenig zu tun haben.

Haben Farben auch besondere Einflüsse auf politische Bauten wie den Reichstag?

Brandstädter: Bei solchen Gebäuden spielt eine offensive Farbgebung zumindest in der Außenwahrnehmung keine Rolle. Hier kommt „gebaute Farbigkeit“ in Form von Glas, Naturstein und Metall zum Einsatz, die so genannte Materialfarbigkeit. Am Reichstag lässt sich gut erklären, warum das so ist. Für die Glaskuppel hatte die für ihren Sprachwitz bekannte Berliner Bevölkerung schnell den Begriff „Zitronenpresse“ parat, eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Architekturform fand hingegen wenig statt. Breites Gesprächsthema war aber die violette Farbgebung der Stuhlbezüge im Plenarsaal. Menschen reagieren sehr emotional und direkt auf Farbe. Deshalb sind Bauten, in denen administrative Dinge ablaufen, eher nüchtern und distanziert gestaltet. Farbe weckt Emotionen, deren Botschaft bei diesen Gebäuden nicht erwünscht ist. Vielleicht weil ihr Wesen als verspielt, vordergründig und modisch gilt.

Farbgestalter Christian Brandstädter.

Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit als Farbgestalter vor?

Brandstädter: Grundsätzlich interessant sind für mich Gebäude, deren Fassaden nicht ausschließlich aus farbigen Putzflächen bestehen. Durch Kombination mit anderen Materialien wird vielfach die Architektur aufgewertet. Die Aus- wahlmöglichkeiten sind groß: Glas, Metall, Holz, Klinker, Keramik oder Plattenbaustoffe. Es geht mir vor allem um stimmige Konzepte. Das kann sehr unterschiedlich ausfallen. Zum Beispiel habe ich in Mainz für das Studierendenwohnheim K3 ein sehr vielfarbiges Konzept entworfen und auch umsetzen können, weil das Studierendenwerk einen Hingucker wollte.

Die gestalterische Spannung wird entfacht durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Farboberflächen und -dimensionen. Ebenfalls in Mainz habe ich das Farbkonzept für die Wohnanlage „Moguntia Höfe“ entwickelt. Im Vergleich zum K3 gibt es hier nur wenige Farbtöne, diese wirken aber entsprechend signifikant. Grünfarbige Akzente, die die Fassaden banderolenartig markieren, stehen im Bezug zur ursprünglichen grünen Fassadenfarbe der ehemaligen Gewürzmühle, die hier ihren Standort hatte. Die beiden Beispiele zeigen, dass es beim Thema Farbe und Architektur keine Rezepte aus der Schublade gibt und es eine derartige Dogmatik auch nicht geben darf.

Weshalb?

Brandstädter: Unterschiedliche Gebäudeformen und -nutzungen verlangen ein differenzierendes Vorgehen. Farbplanungen von Gebäuden in städtischen Lagen sollten das gebaute Umfeld mit einbeziehen. Nach meinem Empfinden sollten einzeln stehende Wohnhäuser weniger farbig sein. Für Wohnquartiere bieten sich übergreifende Farbkonzepte an, die die Häuser in eine Beziehung stellen. Ich meine beispielsweise, dass zu viele helle Gebäude ein Stadtbild eher stören.

Wie wird sich das Thema Farbe und Architektur weiterentwickeln?

Brandstädter: Beim Wohnungsbau in Verbindung mit Putzflächen werden weiterhin flüssige Anstrichsysteme dominieren. In Asien werden vermehrt Hightech-Pigmente verwendet, die je nach Lichteinfall unterschiedlich schimmern. Inwieweit sich das bei uns durchsetzt, ist aber nicht absehbar. Künftig wird es in Verbindung mit Materialität subtilere Lösungen geben. Vor allem bei den vorgehängten hinterlüfteten Fassaden, etwa aus Verbundstoffen, Holz, Glas, Metall und Keramik, sind die Entwicklungen vorhersehbar.Hier deuten bereits sehr interessante Möglichkeiten die Richtung an. So zum Beispiel der Lichtbeton, der durch kleine Glasfaserröhrchen Licht durch die Betonfläche leitet. Oder das Thema Changierung, also der unmittelbar ineinander übergehende Wechsel von Farben. Das Museum Brandhorst in München ist dafür ein hervorragendes Beispiel. 216.000 vertikal gesetzte Keramikstäbe in 21 unterschiedlichen Farbtönen vermitteln eine geradezu monolithische Vielfarbigkeit. Dies ist sehr subtil und individuell. Und gerade im gehobenen Planungssektor bei Museen, Verwaltungsgebäuden oder Firmengebäuden, dort wo genügend Mittel zur Verfügung stehen, wird für individuelle Gestaltungsbilder viel Raum sein.

Christian Brandstädter, geboren 1956 und aufgewachsen in Hamburg, hat an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg Pädagogik und Malerei studiert. Als Farbgestalter arbeitet er seit 1997 selbstständig. In seinem Planungsbüro in Wiesbaden hat er zwei Mitarbeiter.

Weitere Informationen: www.architekturfarbe.de

Interview: Christoph Ertz
Fotos: Thomas Effinger, Festival of Lights, Frank Herrmann, Brandstädter