Von Christoph Ertz
300.000 Fahrzeuge verlassen jährlich das Rastatter Werk
Seit 1997 wird dort die A-Klasse gebaut. Hinzugekommen sind in der Produktionsstätte inzwischen noch die B-Klasse mit Verbrennungsmotor sowie Elektro- und Erdgasantrieb und im Jahr 2014 das kompakte SUV GLA. Rund 300.000 Kompaktfahrzeuge verlassen mittlerweile jährlich die Rastatter Bänder. Während der Standort Sindelfingen aber bereits seit hundert Jahren existiert, ist das Rastatter Werk die jüngste deutsche Fahrzeug Produktionsstätte der Daimler AG. Auf der grünen flachen Wiese wurde das Werk von 1990 bis 1992 für zunächst nur wenige hundert Mitarbeiter gebaut – eigentlich aber muss es genauer heißen: Wiesen. Denn heute umfasst das Areal 147 Hektar, so viel wie 200 Fußballfelder.
Mehr als 1.400 Roboter helfen in der Fertigung mit, in der auch Fahrzeuge mit Elektroantrieb produziert werden.
Die Bedeutung Rastatts innerhalb des Konzerns werde insbesondere dadurch betont, dass das Werk als weltweites Kompetenzzentrum für Kompaktfahrzeuge von Mercedes Benz fungiere, erklärt Federico. Die Fertigung durchläuft die Bereiche Karosserierohbau, Lackierung und Endmontage. „Die Pressteile aus unterschiedlichen Metallen für die Rohkarossen werden aber aus anderen Standorten angeliefert“, erläutert Britta Aubin – eine von derzeit sechs Werksführerinnen. Seit elf Jahren schon führt sie Besucher hinter die Kulissen des Werks unmittelbar in die Fertigung. Erste Station ist der Karosserierohbau in einer gewaltigen, 93.000 Quadratmeter großen Halle. Dabei geleitet die Werksführerin die Teilnehmer zunächst auf einen breiten Steg, der etwa auf halber Höhe und in einer anfangs für das Auge nicht abschätzbaren Länge durch das Gebäude führt. Darüber schweben in sicherem Abstand gemächlich, aber in unaufhörlichem Strom Karosserieteile zu den unterschiedlichen Bereichen der Fertigung. Unten auf dem Hallenboden vollzieht sich derweil unablässig eine Art Breakdance-Ballett. Breakdance, weil die dort zu bestaunenden Bewegungen zwar abgehakt, aber durchaus rhythmisch ausgeführt werden. Ballett, weil die einzelnen Mitglieder des hier handelnden Ensembles zu einer genau aufeinander abgestimmten Bewegungschoreografie verschmelzen. Das Ensemble besteht aus orange lackierten Fertigungsrobotern des Augsburger Herstellers Kuka. Mehr als 1.400 dieser Roboter führen im Rastatter Werk millimetergenau ihre programmierten Aufgaben aus. In schier unermüdlichem Takt falzen, prägen, schrauben und schweißen sie. Oder sie bringen die vielen verschiedenen Klebestoffe ein, die später mit dazu beitragen, die fahrbaren Untersätze der Moderne zusammenzuhalten.
Der Standort Rastatt ist einer der größten Arbeitgeber in der gesamten Technologie-Region Karlsruhe
Doch der Eindruck einer vollautomatischen Maschinen-Fabrik täuscht. Der Standort Rastatt hat vielmehr heute 6.500 Mitarbeiter und ist damit einer der allergrößten Arbeitgeber in der gesamten Technologie-Region Karlsruhe. Zum Vergleich: Beim Elektronikkonzern Siemens in Karlsruhe – größter privater Arbeitgeber der Fächerstadt – arbeiten um die 4.500 Beschäftigte.„Roboter übernehmen sehr monotone, körperlich anstrengende und hoch präzise Arbeiten. Deshalb werden sie vor allem im Rohbau eingesetzt“, erklärt Pressesprecherin Maike Federico. „In der Montage hingegen ist es wichtig, dass Menschen flexibel und mit all ihren Sinnen ihrer Aufgabe nachgehen.“ Werksführerin Britta Aubin leitet unterdessen in den nächsten Besichtigungsbereich über – die Endmontage. „Die Lackierung müssen wir aussparen“, sagt sie. Die Reinraumbestimmungen lassen eine Führung dort nicht zu. So genannte Informationszentren auf den Besucherstegen in der Endmontage-Halle bieten immerhin Einblicke in den Lackierungsprozess. Und Auszubildende haben dort ein Modell mit Emu-Federn aufgebaut. Mit solchen Emu-Federn bestückte Reinigungswalzen tragen erheblich zur staubfreien Lackierung bei.
Derart Erstaunliches hat auch die Endmontage noch zur Genüge zu bieten. An den Linien sind hier tatsächlich viele Mitarbeiter im Einsatz, darunter auch Frauen in bemerkenswerter Zahl. Den Fertigungsmitarbeitern über die Schulter geblickt, fällt auf, mit welcher Gelassenheit sie die vielen unterschiedlichen Schritte vollziehen, aus denen schließlich ein Neuwagen entsteht – etwa beim Zusammenführen von Karosserie, Unterboden und Motor, der so genannten Hochzeit, oder wenn, wie im Fall der A-Klasse, Kabel in einer Gesamtlänge von 1,8 Kilometern verlegt werden. Menschenhände, Maschinenhelfer und vor allem eine für den Laien wahre Logistikhexerei greifen ineinander. So kann man als Besucher eigentlich nur Staunen über die Passgenauigkeit, mit der die vielen Teile von Zulieferern über Fließbandbrücken genau zum richtigen Zeitpunkt zur Linie gebracht werden:
„Fast jede zweite A-Klasse ist ein Unikat“
Zum Beispiel dann, wenn für einen Kunden seine knallig blaue A-Klasse mit weißen Sitzen ausgestattet wird. „Fast jede zweite A-Klasse ist ein Unikat“, beschreibt Britta Aubin den Variantenreichtum der zu bedienenden Kundenwünsche in der heutigen Automobilwelt – sowie die Meisterschaft der dahinter stehenden Fertigungsprozesse. Vor einiger Zeit hat ein sehr populärer Fernsehjournalist aus Indien die GLA-Produktion im Werk Rastatt gedreht. Seine Reportage lief bereits im indischen Fernsehen – somit sind nun nicht nur Tausende Besucher vor Ort mit der faszinierenden Automobilproduktion von Mercedes-Benz in Rastatt vertraut – sondern gewiss auch schon Millionen Inder.