„Leben ist nicht aufgeben“

Ehemaliger Minister Ghafoor Rahim arbeitet am Eingang des Europa-Park

Ghafoor Rahim empfängt tausende Besucher am Eingang des Europa-Park – die allerwenigsten ahnen, dass sie dabei einem ehemaligen Minister mit einer bewegten Lebensgeschichte begegnen

Wie viele Menschen er heute begrüßt hat? „20.000“, entgegnet Ghafoor Rahim am Ende eines trüben, kühlen Tages. Begrüßt und kontrolliert, denn es gilt auch, die Tricks zu durchschauen, mit denen manche versuchen, kostenlos in den Park zu gelangen. Die Besucher empfängt er stets mit einem Lächeln. „Die Arbeit macht Spaß“, erklärt Rahim. „Das muss von Herzen kommen, Freundlichkeit lässt sich nicht künstlich erzeugen.“ Seit dem Jahr 2000 arbeitet Rahim schon am Park-Eingang. Inzwischen kennt er viele Gesichter, unter Jahreskartenbesitzern hat er Bekannte, doch die allerwenigsten der tausenden Besucher werden auch nur ahnen, dass sie einem ehemaligen Minister mit einer bewegten Lebensgeschichte begegnen. Geboren wurde Rahim 1947 in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans. Wenn er über seine Heimat spricht, gerät er ins Schwärmen. „Kabul liegt 1.700 Meter hoch, im Winter kann es sehr kalt werden, aber wenn Sie nur 120 Kilometer ostwärts nach Jalalabad reisen, können Sie frische Orangen direkt vom Baum essen.“ Die Landschaft reiche von mehr als 7.000 Meter hohen Bergen bis zu dschungelartigen Wäldern. Wenn seine Gedanken an den Hindukusch wandern, liegt aber auch Wehmut und Trauer in der Stimme – Rahim war schon mehr als 20 Jahre nicht mehr in Afghanistan.

Dort gehörte er zur Elite. In den 1960er Jahren erhielt er als bester Student ein Stipendium für ein Studium im damaligen Leningrad. Als Wasserbauingenieur widmete er sich hinterher dem Aufbau der Wasserversorgung. „Aufgrund des vielen Schmelzwassers aus den Bergen könnte Wasserdie Hauptressource zur Entwicklung sein“, erklärt Rahim. „Doch zu viel davon bleibt ungenutzt.“ Als er anfing, im Wasserbauministerium zu arbeiten, war Afghanistan noch ein Königreich. In unterschiedlichen Funktionen innerhalb der Verwaltung erlebte er danach das Abgleiten seiner Heimat in eine scheinbar nicht enden wollende Gewaltspirale. Von 1990 bis 1992 war er sogar Minister für Wasserbau und Energie. „Ich bin Moslem und parteilos“, betont er – doch nach der Machtübernahme durch die Mudschahedin musste er um sein Leben fürchten. „Es gab Morddrohungen.“ Mit seiner Frau und den beiden kleinen Söhnen floh er auf dem Landweg Richtung Westen. „Dass wir schließlich in Deutschland landeten, war Schicksal.“

Zurück - eines Tages

Kein Zufall war es aber, dass die Flucht im südbadischen Ettenheim nahe des Europa-Park endete, denn dort lebte bereits sein Cousin Chodja Sediq – ein Bildhauer, der auch Skulpturen für den Europa-Park gefertigt hat. Der Neuanfang war schwer, aber gelang – auch weil, wie er sagt, seiner Familie viel Hilfsbereitschaft entgegen gebracht wurde. Ettenheim wurde zur zweiten Heimat. Einige Jahre konnte er dort als Ingenieur für die Stadt arbeiten, doch als der Vertrag auslief, blieben viele Bewerbungen erfolglos. „Zu Hause rumsitzen, das halten meine Beine und mein Kopf nicht aus“, sagt Rahim – so nahm er schließlich die Tätigkeit beim Europa-Park an, wo auch seine Frau damals arbeitete. „So lange ich gesund bin, will ich hier gerne weiter arbeiten“, betont er. Ob er noch hofft, irgendwann nach Afghanistan zurückzukehren? „Aber sicher“, kommt es entschieden zurück. „Leben ist nicht aufgeben.“

Christoph Ertz